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: Eine Schule für alle steigert die Intelligenz – und das Bruttosozialprodukt

Das Komische ist, die Daten im jährlichen OECD-Bildungsreport sind nicht neu. Schon lange investieren die Deutschen viel zu wenig Geld. Noch älter ist allerdings die Tradition, mit Vertrauen in die nächste Generation zu geizen. Unser viergliedriges Schulsystem – wer vom dreigliedrigen spricht, vergisst, dass wir fast fünf Prozent in Sonderschulen aussondern, weltweit einmalig – hält für viele Kinder die Botschaft bereit: Ob du dazugehörst, ist zweifelhaft. Noch immer wird Studienanfängern in Fächern, die auf ihre Härte stolz sind, verkündet: „Die Hälfte von Ihnen gehört nicht hierher – wer es nicht hören will, wird es bei der Zwischenprüfung fühlen.“

Die Quittung: Wir sind Schlusslicht bei den Studienanfängern und an der Spitze bei den Abbrechern. Sogar in der Sonderschule für Lernbehinderte werden Kinder gestestet, ob sie nicht eigentlich in die Anstalt für geistig Behinderte gehören. Das Ergebnis: Das Gefühl, sich zugehörig zu fühlen, ist in unseren Schulen katastrophal niedrig. Auch das ist inzwischen gemessen. Es ist ja klar, wer die Schule wie eine zur Bewährung ausgesetzte Vorstrafe aufs spätere Leben ansieht, macht lieber ein intelligentes Gesicht und blufft, statt zu lernen. Auch Gesamtschulen, die mit ihren ausgetüftelten Kursen die Selektion auf die Spitze treiben und das Leben als Verschiebebahnhof präsentieren, sind keine Lösung.

Die Deutschen müssen sich endlich trauen, wie die Finnen zu sagen: „Kein Kind darf beschämt werden.“ Sie müssen wie die Schweden ins Schulgesetz schreiben: „Sortieren findet bis Klasse neun nicht statt.“ Aber die meisten Deutschen glauben im Grunde ihres Herzens gar nicht, dass eine entneurotisierte Schule die beste Pisa-Ernte einfährt.

Eine Schule für alle steigert die Intelligenz eines jeden – und erhöht sogar das Bruttosozialprodukt. Es ist bewiesen. Nun müssen die Deutschen nur noch daran glauben. Die ganze Misere hängt tief im kollektiven Imaginären. Wir brauchen Bilder des Gelingens! Und es wird darauf ankommen, nicht gleich wieder den alten deutschen Bildungskrieg anzuzetteln. Auch das ist eine Lehre der erfolgreichen Länder: Bildung ist ein Gemeinschaftsfeld der Gesellschaft und kein Hackbrett der Politik

Die Debatte über den Unsinn des deutschen Sonderwegs hat die Politik ergriffen. Gut so. Aber selbst die Klientel der Grünen schickt ihre Kinder am liebsten aufs heilige Gymnasium – und dann: nichts wie durch. Aber Heterogenität ist erfolgreicher und sogar sexy. REINHARD KAHL

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