Mehr Rechte für Marokkos Frauen

König Mohamed VI. kündigt eine Reform des Familiengesetzes an. Sie soll die Unmündigkeit der Frauen beenden

MADRID taz ■ Marokkos König Mohamed VI. setzt einen Schlussstrich unter die jahrelange Debatte über eine Reform des Familiengesetzes. Bei der Eröffnung des parlamentarischen Jahres 2003/2004 am Freitagabend kündigte er ein umfassendes Reformpaket an. Die elf Maßnahmen sollen „Schluss machen mit der Ungleichbehandlung, der die Frau ausgesetzt ist, die Rechte der Kinder schützen und die Menschenwürde erhalten“. Dies stehe „im Einklang mit unserer toleranten Religion“, erklärte Mohamed VI., der auch religiöser Führer seines Volkes ist.

Künftig soll „die Familie der Verantwortung beider Ehepartner unterstellt sein“. Bisher hatte nur der Mann das Sagen. Frauen waren ihr Leben lang unmündig. Alle sie betreffenden Entscheidungen wurden vom Vater, älteren Bruder oder Ehemann getroffen. Frauen konnten ab dem 15. Lebensjahr ohne ihre Einwilligung verheiratet werden. Die Reform sieht jetzt ein Mindestheiratsalter von 18 Jahren vor. Künftig braucht die erwachsene Frau keinen Tutor mehr. Deshalb darf nach dem neuen Gesetz keine Frau ohne ihre Zustimmung verehelicht werden.

Die umstrittene Polygamie wird es jedoch weiter geben, wenn auch stark eingeschränkt. Nur wenn die erste Frau zustimmt, kann der Mann eine weitere Frau nehmen. Dazu braucht er die Genehmigung eines Richters, der feststellen muss, ob das Einkommen des Mannes ausreicht, um der zweiten Frau und künftigen Kindern das gleiche bieten zu können wie der ersten.

Erstmals wird es ein Scheidungsrecht geben. Bisher konnte der Mann die Frau verstoßen, ohne weiter für ihren Unterhalt verantwortlich zu sein. Wenn der Mann wollte, behielt er die Kinder. Künftig soll nur ein Richter eine Ehe trennen können. Der entscheidet dann über das Sorgerecht, die Gütertrennung und den Unterhalt. Zudem wird künftig bei unehelichen Kindern der Vater von Amts wegen ermittelt.

Die Debatte über eine Familienrechtsreform entzweit seit Jahren Marokkos Gesellschaft. „Modernisten“ und „Traditionalisten“ brachten dabei mehrfach ihre Anhänger auf die Straße. Nach dem Machtwort des Königs wird die Reform voraussichtlich einstimmig von den Abgeordneten angenommen. Die gemeinsam regierenden nichtreligiösen Parten – die sozialistische USFP, die Kommunisten und Teile der nationalistischen Istiqlal – bezeichneten den Vorschlag des Königs als „historisch“. Auch die im Parlament vertretenen Islamisten der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), die bisher eine Reform ablehnten, glauben nach der Rede des Monarchen, dass der „König die Veränderungen im Einklang mit dem islamischen Recht“ vornehmen will.

Nur die halblegale islamistische Organisation „Gerechtigkeit und Geistlichkeit“ von Scheich Abdessalam Yassine, die vor drei Jahren in Casablanca über eine halbe Million Menschen gegen ein neues Familiengesetz auf die Straße brachte, wird weiter Front gegen eine Reform machen. REINER WANDLER