Das Prasseln im Korb

Ein Autor versucht sich an dem Psychogramm einer Familie und ist leider nicht auf der Höhe seiner Kunst: Stefan Beuses Roman „Meeres Stille“

Vieles erscheint umständlich formuliert und stets mit leichtem Pathos versehen

Nach einem Band mit Prosaminiaturen, „Wir schießen Gummibänder zu den Sternen“ (1997), mit kleinen Szenen, die pointiert auf ein Ende hingeschrieben sind, legte Stefan Beuse 2000 mit „Kometen“ eine Geschichte voller Koinzidenzen vor, die eine episodenhafte, scheinbar unverbundene Oberflächenstruktur zumindest teilweise zusammenhalten. Das Irrlichtern zwischen den Menschen deutet Beuse mit seinem kleinteiligen Roman ebenso an wie die Überzeugung, dass sich hinter den kleinen Geschichten eine große verbirgt.

Diese Haltung und die dabei entstehenden Irritationen reflektiert auch sein zweiter Roman, „Die Nacht der Könige (2002)“. Auch hier findet ein Spiel im Grenzbereich der Wahrnehmung mit dem Rätselhaften statt, eine albtraumhafte Reise in das eigene (Unter-)Bewusstsein, bei der die Grenzen zwischen Sein und Schein verwischen. Ein Werbetexter wird bei einem Kundentermin mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, Personen und schließlich ein Video tauchen auf, die ihn an eine unheilvolle Nacht vor zehn Jahren erinnern. Die Ereignisse von damals holen ihn ein, das damalige Opfer zieht ihn in einen Strudel allmählichen Wahnsinns. Mit Elementen des Psychothrillers entwirft Beuse eine filmisch wirkende Halluzination, die Wirklichkeit geworden zu sein scheint. Mit Momenten des Unbewussten und Dämonischen spielend, interessiert sich Beuse für die Schnittstellen zwischen Wahn und Vernunft, für die rätselhaften Grenzbereiche von Fantasie und Intuition, Obsession und Verbrechen.

Diese Neigung offenbart auch sein jüngster Roman, „Meeres Stille“, der das „Psychogramm einer Familie“ sein will, die während eines Urlaubs von einem Geheimnis eingeholt wird. Beuse schiebt die Zeitebenen ineinander und spielt zudem mit dem Motiv der Geschichte in einer Geschichte, was dem Leser aber erst nach einem guten Drittel des Romans zugänglich wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Tochter Frances, eine angehende Schriftstellerin, deren literarische Fantasien von der Wirklichkeit eingeholt werden. Sie fungiert als Gelenk zwischen zwei Familienschicksalen und als Motor der Geschichte(n). Anfangs bereut sie es, „dass sie nur Worte hatte, aber keine Bilder, die zu den Worten passten“, später ist es „eine winzige Unschärfe nur, eine einzige Lüge, die alles ins Schwimmen brachte“.

Beuse bringt auf den ersten Seiten seine Figuren und viele Motive ins Spiel, so in einem hübschen Prolog den Autounfall der Mutter und die durch die Luft fliegenden Geschenke für die Tochter. Vorgestellt werden der Vater Viktor, der ein aufgeblasener Feuilletonist ist, Sohn David spielt Basketball und mimt den Lakoniker. Mutter Helen hat Narben an den Händen, ob von dem Unfall oder aus einem anderen Grund, bleibt vorerst verborgen. Ohne zu wissen, wohin die Handlung führen wird, ärgert man sich bereits früh über die grausamen Vergleiche, mit denen Beuse arbeitet, und die allgemein schlampige Sprache, die er seinen Figuren zur Verfügung stellt.

Zum Beispiel wird von einem „Prasseln“ gesprochen, wenn ein Basketball in den Korb fällt. Wer jemals einen Korb erzielt hat, weiß, dass sich das anders anhört. Da „zitiert [er] ein Temperament, das nicht das seine war“, oder „formierte seine Arme neu“. Oder folgende Passage: „Es war ein ergreifendes Gefühl, einmal nicht der Kopist zu sein, sondern sie gewissermaßen vorwegzunehmen, ein unbekanntes Gefühl der Macht ihr gegenüber.“

All dies erscheint umständlich und verquer formuliert, stets auch mit dem leichten Pathos versehen, für das Beuse so anfällig ist. Man könnte noch viele Textstellen dieser Art anführen, in denen sich der Autor nicht auf der Höhe seiner Kunst zeigt. Dies ist umso bedauerlicher, als der Roman ab der Hälfte etwas an Fahrt gewinnt und mit seiner Mischung aus Mystery und Psychologie eigene Konturen zu entwickeln beginnt. Der Plot soll verborgen bleiben, weil er der einzige Antrieb ist, der den Leser zum Weiterlesen motiviert. Verraten sei nur, dass es um Schuld und Sühne geht, um verdrängte Ereignisse, einen Racheengel und die Not der Erinnerung. Die Handlung erscheint aber am Ende auch zu abstrus und konstruiert, als dass man ihr wirklich zu folgen bereit ist. Und es sind ebendiese sprachlichen Unzulänglichkeiten, die in einer Fülle auftreten, die man von einem mittlerweile doch nicht ganz unerfahrenen Autor nicht erwartet hätte und die die Lektüre vermiesen.

Ob Beuse seine Sprachdrechseleien registriert hat, wenn er schreibt, dass Viktor „wie der Protagonist einer Vorabendserie“ spricht, ist zweifelhaft, da von Ironie durchgängig nichts zu spüren ist. Man möge den Text trotzdem nicht gegen den Autor wenden. Doch angesichts einer Entwicklung, die man von Text zu Text bei Stefan Beuse zu verspüren meinte, ist dieser Roman eine Enttäuschung und zumindest ein Treten auf der Stelle.

THOMAS KRAFT

Stefan Beuse: „Meeres Stille“. Piper, München 2003, 185 Seiten, 17,90 €