Hol dir den Kick!
Mit „Welt kompakt“ und „News“ buhlen gleich zwei neue Tageszeitungen im Rhein-Main-Gebiet um junge Leser – die bekommen, was sie verdienen
AUS FRANKFURT AM MAIN OLIVER NAGEL
Spät nachts, wenn alles schläft, kann man es hören: Das Aufheulen der Motoren, wenn in den Frankfurter Druckerstraßen die Ampeln auf Grün schalten und die zwei jüngsten Zeitungen der Stadt durchstarten. Welt kompakt und News sind geschaffen, um zu überholen – natürlich den Oberklasse-Oldtimer FAZ und die leicht durchgerostete Frankfurter Rundschau, aber auch einander: News geht mit serienmäßigem Affirmationslack ins Rennen („Frankfurt rockt – Die Innenstadt hat sich zur In-Meile gemausert“), die Coupé-Version der Welt will einfach schneller sein: „Redaktionsschluß 00:19 Uhr“. Damit weist „Deutschlands aktuellste Zeitung“ den Weg: in Richtung Nutzwert soll es gehen, dem zurzeit populärsten Ziel der Zeitungsbranche.
Der Nutzwert, das ist die gefühlte Information, der Kick, den die News-Junkies brauchen, minütlich aktualisiert, wenn’s geht. Diesen Nachrichten-Flash liefert ihnen nun Welt kompakt, in kleinen Dosen zwischen den übrigen Artikeln, kenntlich gemacht durch kleine rote Quadrate, die signalisieren: Achtung, hier kommt der Stoff, den ihr sucht, ein paar Zeilen purer Information, der gesunde Apfel zwischen den schweren Hauptmahlzeiten. „Fakten, Fakten, Fakten“ nennt das Deutschlands größte Satirezeitschrift Focus, und genau wie Focus würzt auch Welt kompakt ihr werbefreundliches Umfeld mit vielen bunten Grafiken und Diagrammen.
Im Jargon der Zeitungsmacher nennt sich diese Seuche „Vermittlungselement“. Und die Folgen lassen sich nun in der Welt kompakt ablesen. Da gibt es ein Potpourri aus Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Lokalnachrichten, Medien und Meinung – von allem etwas.
Von allem etwas und davon viel mehr, das braucht der Frankfurter, der seit jeher lieber in die Breite geht als in die Tiefe. Deshalb kann er auch News sehr gut gebrauchen, das noch neuere wochentägliche Tabloid, eher Magazin als Zeitung, in das, Synergie total, Textchen und Bildchen aus dem Handelsblatt, dem Berliner Tagesspiegel, Amica, Fit For Fun, Spektrum der Wissenschaft usw. hineingedruckt werden – ist gerade mal kein kostengünstig zweitverwertbarer Text aus dem Häusern Holtzbrinck respektive Milchstraße zur Hand, wird eben gleich aus dem Internet abgeschrieben, und zwar aus Online-Tagebüchern, so genannten Weblogs, weil für „der ganzen Welt zur Verfügung“ gestellte Texte niemand Zeilengeld verlangen könne, so News-Chef Klaus Madzia gegenüber der Rundschau.
Dabei könnten sich, träumt der Mann im Chefsessel weiter, sogar die Handverkäufer der News zum Redakteur hocharbeiten; und schon jetzt liest sich sein Blatt so, als würde es von halbalphabetisierten Zeitungsausträgern vollgeschrieben.
„Auch das noch“, stöhnt die Hauptschlagzeile der dritten Nummer von News: „Handys werden teurer“! Au weia! Erst Hartz IV, Bildungsmisere und Tarifstreit – und jetzt werden auch noch die Handys teurer! Wo soll das enden?
Vielleicht bei einer „After-Work-Party mit dicker Knarre? In Südhessen gibt es statt Feierabendbier Action auf dem Paintball-Feld“, aber wenn dieses Thema nicht interessiert, schick deine SMS doch einfach für „ICEs der Bahn unter der Dusche – In Frankfurt werden die flotten Züge saubergemacht“, denn News lässt täglich den Leser zwischen drei Themen abstimmen, ach was: voten. Könnte man Klingeltöne aus einer Zeitung herunterladen, gäbe es das in News garantiert auch.
Jede Zeitung hat die Leser, die sie verdient – und umgekehrt. Tatsache ist aber, dass die Tabloids der gebeutelten Konkurrenz die Werbekunden abjagen wollen. Noch soll es in Frankfurt Zeitrpungen geben, die ihre Leser nicht für vollkommen unterbelichtet halten.
