Geschichte in Uniform

Sie laufen gut, wenn sie leicht konsumierbar sind: TV-Dokus folgen dem Trend zur Formatisierung. Die individuelle Autoren-Handschrift hat’s schwer

von GITTA DÜPERTHAL

Die Inszenierung ist hölzern, der Text trivial, der Film in Gänze überästhetisiert. Die vierteilige ZDF-Hochglanzreihe „Metropolis – Macht der Städte“, die auch diesen Sonntag wieder zur besten Sendezeit läuft, ist typisch für den Trend der Formatisierung und Serialisierung im Doku-Fernsehen.

Sie bedient sich des so genannten Reenactments: Historische Begebenheiten werden mit Schauspielern nachgestellt. Im obigen Beispiel geht es um eine vom Römer Plinius überlieferte Anekdote über eine Medizinerin, die sich als Mann verkleidete, um studieren zu können.

Mit derartigem Firlefanz, Computeranimationen und viel Pathos sollen wohl jene, laut Pisa-Studie, psychisch geschädigten Jugendlichen, die das Fernsehen meist nur noch als Hintergrundkulisse nutzen, vom Wegzappen abgehalten werden. Ist das die von Nicolaus Brender proklamierte ZDF-Strategie „Verjüngung durch Geschichte“? Man kann das wie Produzent Christian Bauer als „Spartakus für Arme“ bezeichnen: Genau besehen bedeutet es jedoch, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen Wirtschaftlichkeit zum obersten Prinzip erhebt.

Der Regisseur Thomas Schadt, der an der Filmhochschule Ludwigsburg lehrt, differenziert zwischen „harten“ Formaten, bei denen alles vorgegeben wird, und „weichen“, wo es noch Spielräume gibt. Der „gute alte Dokumentarfilm“ mit Autorenhandschrift werde wohl „bald nicht mehr gebraucht“, so Schadt. Damit verschwinden auch jene Filmer zunehmend von der Bildfläche, die Geschichte als sozialpolitisches Lernfeld werten und nicht als ästhetisches Instrument, um die Öde der Gegenwart zu überspielen.

Als „hartes Format“ gilt auch die ARD-Reihe „Legenden“ (montags, 21.45 Uhr, ARD). Im Film „Che Guevara“ werden Zeitzeugen mitten im Dschungel Boliviens vor blitzblauem Hintergrund abgebildet – Guido Knopps Inszenierungen sind eben stilbildend geworden. „Je ängstlicher die beim Sender verantwortlichen Redakteure, desto formatbesessener“ gerate die Arbeit, sagt Schadt.

Blutige Schnitte

Auch für die gestern im ZDF gestartete sechsteilige Vorabend-Dokureihe „Kinderklinik“ gab es bereits im Vorfeld Kollegenschelte: über effektheischende Bilder blau angelaufener Neugeborener, blutige Schnitte eines Chirurgen in Nahaufnahme.

Die Folgen der Formatisierung scheinen inzwischen vielen Fernsehredakteuren selbst zu dämmern: Bei Arte werde bei den 40 Dokusoaps, die ab Januar 2004 zur Primetime laufen, nur die Länge zur Auflage für die Autoren gemacht, sagt Redaktionsleiterin Kornelia Theune.

Allerdings: Hier wird überwiegend auf leichte Unterhaltung gesetzt. Wie „Samba für Singles“, der Nachfolger von „Abnehmen in Essen“, in dem weibliche Frohnaturen diesmal nicht die schlanke Linie, sondern einen halbwegs passablen Mann suchen. Nur wenige „sensible“ Themen seien geplant, so Theune. Ein Beispiel: „Die Totenwäscherin“.

„Was machen Sie, wenn das lungenkranke Baby, das Sie in ‚Kinderklinik‘ zeigen, stirbt? Übergeben Sie es dann Frau Theune für die Leichenwäsche auf Arte?“, musste sich ZDF-Redakteurin Ulrike Angermann kürzlich bei einer Kölner Tagung der Dokumentarfilminitiative NRW vom SWR-Mann Kai Henkel fragen lassen. Und Peter Zimmermann vom Haus des Dokumentarfilms Stuttgart meinte: Sendungen wie „Kinderklinik“ bemühten „die alte Nummer der Mitleids- und Rührseligkeitsshow eines entpolitisierten Betroffenheitsjournalismus“.

Gut gebrüllt, doch die Gegenwehr ist in der Praxis wenig radikal: Schadt empfiehlt jungen Autoren, den Formatierungswahn mit subversivem Gedankengut zu unterwandern. Gefragt seien „systemresistente Persönlichkeiten“, die ihrerseits „eine gehörige Portion Wahnsinn“ mitbrächten. Und der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (a.g.dok.), Thomas Frickel, will einen Preis ausloben, um den intelligenten Dokumentarfilm zu fördern: „Wir werden eine Redakteurin auszeichnen, die Mut zeigt, dem uniformierten Genre auszuweichen und zu experimentieren.“ Zu gewinnen sind 5.000 Euro. Die natürlich der Autorin zur Projektentwicklung dienen sollen.