nebensachen aus moskau
: Druschba oder Mit „Mama“ beim Grandprix

Ganz im Geiste wiedererwachter sowjetischer Völkerfreundschaft lässt sich Russland im Mai beim Grand Prix d’Eurovision in Moskau von einer Nachbarin aus dem nahen Ausland vertreten. Die Wahl fiel auf die 21-jährige Anastasia Prichodko und ihr Lied „mamo“ (Mama).

Stasia ist eine langbeinige Kleinrussin. So nennen Großrussen die slawischen Verwandten in der Ukraine nun mal. Stasia wird „mamo“ im heimischen Idiom besingen, jedoch einen russischen Refrain einbauen. Wer hätte das vor wenigen Wochen für möglich gehalten? Gaskrieg und orange Revolutionäre trüben seit Jahren die gegenseitige Wahrnehmung.

Zu Hause in Kiew war die kapriziöse Sängerin wegen vermeintlicher Regelverletzungen von der Qualifikation ausgeschlossen worden. Moskau baute ihr eine Brücke. In imperialen Diskursen wird daraus im Nachhinein leicht mal ein freiwilliger Anschluss.

Russland hält eine souveräne Ukraine für ein widernatürliches Gebilde und hat nun allen Grund zu frohlocken. Zumal auch die Komposition nicht aus der Feder eines Russen, sondern eines Georgiers stammt und eine Estin den Text beisteuerte. Vertreter dreier Völker, von denen sich Moskau zunehmend bedroht fühlt. Musik verbindet wieder.

Der russischen Musikszene fällt es aber nicht leicht, die Entscheidung der Jury hinzunehmen. Läuft ein ukrainischsprachiger Beitrag nicht russischem Interesse zuwider?, fragen Künstler, die vor Kurzem das Ukrainische noch für einen verunglückten Dialekt des Russischen hielten. Trennendes statt Verbindendes wird betont, und man vergisst, dass Russland 2008 mit einem englischen Lied, in der Sprache des Satans, den Euro-Titel holte. Kurzum: Neid regiert statt des Reichsgefühls und der Vorfreude auf ein vielleicht bald wieder größeres Rossija. Gleichwohl wohnt dem auch etwas Beruhigendes inne: Sobald persönliche Interessen ins Spiel kommen, erschlafft auch in Russland die imperiale Attitüde.

Die Boulevardpresse fährt unterdessen schwere Geschütze auf. Der Moskowskij Komsomolez (MK) durchleuchtete das familiäre Umfeld der Sängerin und will Anastasias Bruder Nasar Prichodko auf der Mitgliedsliste der ultranationalistischen Organisation UNA-UNSO in der Westukraine entdeckt haben, die aus russischer Sicht dem Geiste der Waffen-SS entwachsen ist. Nasar streitet jede Verbindung zur UNA ab und will Klage einreichen.

Auch Anastasia geriet unter Rassismusverdacht. Russische Kolleginnen verrieten dem MK, dass die Nominierte hinter der Bühne schon mal faschistisches und rassistisches Gedankengut verbreitete. „In einem lag Hitler eigentlich richtig. Er kämpfte für die arische Rasse ….“, auch „Neger und Chinesen“ könne sie nicht ausstehen, soll sie laut MK gestanden haben. Prichodko entschuldigte sich für die „unbedachten“ Äußerungen.

Hält auf dem Umweg über Ukraine und Eurovision die politische Korrektheit langsam Einzug in Russland? Bislang galt Rassismus als sexy und hoffähig. Haftete dem Grand Prix lange etwas Steriles an, gelingt es den Streithähnen, die antiseptische Veranstaltung zu politisieren. Zugegeben, auf niedrigstem Niveau. Vergangene Woche sagte Georgien seine Teilnahme ab. Die Hüter des Eurovision-Reglements hatten die Kaukasier aufgefordert, den Text zu ändern: Sie wollten in Moskau mit einem missglückten Wortspiel auflaufen „We don’t wanna put in“ (lies Putin) …

KLAUS-HELGE DONATH