Köstlicher Grusel

Der Kürbis ist nicht nur eine verwachsene, picklige Frucht. Er ist Kult, Heilmittel und Delikatesse. Dank vieler Mythen, die sich um ihn ranken, sind noch alte Rezepte erhalten. In der Renaissance wurde mit ihm die Urform der Erlebnisgastronomie kreiert

VON TILL DAVID EHRLICH

Ob gelb oder grau, rund oder schlangenförmig, pickelig oder glatt – der Kürbis ist sympathisch. Er ist eine der wenigen Gemüsearten, die wir gern anschauen, wenn wir einkaufen. Der Blick bleibt am Kürbis hängen. Es gibt winzige und riesige, zierliche und klobige Kürbisse. Manche wirken dick und einfältig, andere schlangenförmig und obszön. Diese Vielfalt an Formen und Farben fasziniert Menschen seit der Antike. Er kommt in unzähligen Gedichten und Schriften vor, oft im negativen Sinne. Als Gleichnis für den Kopf, den dummen. Natürlich weil er zu groß und innen hohl ist.

Das hat der Kürbis nicht verdient. Denn eigentlich ist er ein sanfter und in sich ruhender Typ. Trotzdem fasziniert seit Alters seine mystische Seite. Zu Halloween birgt er in seinem Inneren das Licht. Wird zur Laterne. Zum Symbol für die ruhelos herumirrenden Seelen. Es ist ein uralter Brauch, mit keltischem Ursprung. Der Kürbis gruselt den Menschen.

Die Mythen und Metaphern haben indes den Vorteil, dass viele alte Rezepte erhalten sind. Etwa jenes aus der Zeit der italienischen Renaissance. Bartolomeo Scappi, zur gleichen Zeit Geheimkoch von Papst Pius V., bereitete Kürbis so zu: Dem Kürbis wurde oben der Deckel abgeschnitten, die Kerne wurden herausgeschabt. Dann wurde er von oben mit Schinken ausgelegt. Und gefüllt. Mit Kalbsfleisch, Wachteln, Rosinen, Zimt, Pfeffer, Muskat und kostbaren Safranfäden. Dann wurde der Deckel wieder aufgesetzt und der üppig gefüllte Kürbis wurde sorgsam und lange im Feuer gegart. Anschließend wurde er mit Olivenzweigen umkränzt und im Ganzen auf den Tisch gestellt. Quasi als Überraschungs-Ei. Als Urform der Erlebnisgastronomie.

Lange Zeit galt Kürbis als Arme-Leute-Essen. Heute können Spitzenköche nicht mehr auf ihn verzichten. Kürbis ist eine Delikatesse. Er führt zusammen, was sonst undenkbar ist: Feinschmecker, Vegetarier und Gesundheitsfreaks. Denn Kürbis schmeckt nicht nur delikat, er ist gesund.

Aus den Kernen wird dunkles und köstliches Kernöl gepresst. Es ist ebenso hocharomatisch wie bekömmlich. Und vitaminreich, enthält mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Kernöl hat daher einen günstigen Einfluss auf den Cholesterinspiegel. Das Kürbisfleisch enthält viel Vitamin A und C. Stärkt also unsere Abwehrkraft, ist gut für Augen und Haut. Zudem ist Kürbisfleisch kalorienarm und daher „figurfreundlich“.

Kürbis hat eine wertvolle Eigenschaft, die er nur mit wenigen Gemüsesorten teilt: alles ist essbar. Die zartesten Blätter und Triebe können gebacken oder in der Suppe mitgekocht werden. Eine Spezialität für Genießer sind die Blüten, die männlichen ebenso wie die größeren weiblichen. Köstlich schmecken sie in Öl gebacken, mit einer Sardelle und einem Stückchen Mozzarella als Füllung. Vor dem Frittieren sollte man sie in einem Teig wenden. Die Blüten schmecken auch gut im Salat. Wichtig ist, dass sie ganz frisch sind. Das Fruchtfleisch vom Kürbis lässt sich backen, grillen, schmoren, kochen oder braten. Und ergibt neben wunderbare Suppen auch köstliche Ragouts und Pürees, Strudel und Kuchen.

Ein Klassiker ist die Kürbissuppe von Paul Bocuse. Als ich sie das erste Mal gekocht habe, in den Achtzigerjahren, war Kürbis noch bei vielen verschrien. Aus Unkenntnis. Viele kannten ihn nur als billigen und unbedarften Sattmacher. Und als süßsaures Essiggemüse. Kürbissuppe wurde meist einfallslos mit Mehlschwitze, Essig und Zucker zubereitet. Ich hatte gerade eine Kochlehre begonnen. Das Standardkochbuch von Bocuse war für mich damals ein Schlüsselerlebnis. Auch wenn vieles heute auf den ersten Blick zu fett, buttrig oder sahnelastig erscheint. Das Wesen der Rezepte ist schlicht, wurzelt oft in der Jahrhunderte alten Tradition der burgundischen und Lyonaiser Küche. Bocuse’ Kürbissuppe ist nach wie vor raffiniert, obwohl mittlerweile viel leichtere und exotischere Kürbissuppen angesagt sind. Auch wenn zwei Liter Sahne heute kulinarisch unkorrekt erscheinen mögen, es macht Sinn, verteilt sich auf die Menge. Weder vom Kürbis noch von Kürbisrezepten sollte man sich abschrecken lassen.