Facta, und kein moralisches Geschwätz

Willi Winkler über Philipp Moritz

Im Großen & Ganzen rangiert der Journalist noch weit hinter dem Friseur, muss sich verstecken irgendwo zwischen dem Lehrer und dem Finanzminister. Da fehlt's jemand ganz offensichtlich am Selbstbewusstsein. Wir könnten auch anders. Der Posten des “Zeitungsschreibers“ sei vielmehr einer der “ehrenwerthesten im Staat, weil er allein im Stande ist, ohne vieles Aufsehen nützliche Wahrheiten unter das Volk zu bringen“. Sagt, schreibt, seinen da schon sel. Freund Karl Philipp Moritz zitierend, 1794 der wackre Karl Friedrich Klischnig. Zehn Jahre vorher unternahm es dieser Moritz, “ein Blatt für das Volk zu schreiben, das wirklich von dem Volke gelesen würde, und eben dadurch den ausgebreitetsten Nutzen stiftete“. Wenn er die Idee bisher “durch verschiedene elende Schmierer so oft gemißbraucht und herabgewürdigt“ fand, so spricht er nur deshalb nicht von Bild, weil das Hetzblatt vor 220 Jahren noch keinem Kanzler die Meinung vorgeigen konnte.

Moritzens ideale Zeitung müsste die Aufklärung vorbereiten, statt die Verblödung weiter zu befördern, sie müsste vom Leben auf der Straße handeln, aus dem Gerichtssaal berichten, aus der Kirche, aus dem Parlament. Sie müsste das großtönende Leitartikeln sein lassen und die Welt darauserklären, wie sie sich im Einzelnen und für den Einzelnen ereignet. “Dennnur das Einzelne ist wirklich, das Zusammengefaßte besteht größtentheils inder Einbildung.“ Er war streng in seinem Programm, streng wie ein Lehrer,der hauptberufliche “Professor am Berlinischen Gymnasium“: “Das Elend, wenn's einmal da ist, muß unter uns zur Sprache kommen, und“, gaaaanz wichtig, Herr Köhler!, “auf Mittel gedacht werden, wie man demselben abhelfen kann!“

In der Einleitung zu seinem Magazin zur Erfahrungsseelenkunde versprach er ,was auch seine Zeitung bringen sollte: “Facta, und kein moralisches Geschwätz!“ Das Moralisieren konnte Moritz aber doch nicht lassen, fertigteals Theaterkritiker den armen Schiller barschest ab, verdarb es sich, wie es sich für einen guten Schreiber noch immer gehört hat, mit allen städtischenHonoratioren.

Aber schließlich will er sich keine Freunde machen, sondern: Zeitung. “Wer eine solche Zeitung schreiben will, muß selbst, so viel er kann, mit eignen Augen beobachten, und wo er das nicht kann, muß er sich an die Männer halten, die eigentlich unter das Volk, und in die verborgensten Winkel kommen, wo das Edelste und Vortrefflichste sowohl, als das Häßlichste und Verabscheuungswürdigste, sehr oft versteckt zu seyn pflegt.“

Moritz' Zeitungsarbeit - muss man's sagen? - währte nicht lange. Die Theaterschimpften, die Behörden maulten, die Leser waren überfordert, die Auflage sank. Sie wollten ihn endlich lossein, und nach nur zehn Monaten ging Moritz auf & davon. Er wollt' ohnehin nicht länger fronen, sondern hinaus ins Land, nach Süden seine Schritte lenken, ins goldorangene Italien.

Die verlegenden Controller machten die Moritz'schen Neuerungen rückgängig, verwöhnten wieder die Leser mit dem allbekannten Schnarchzeug, brachten statt der idealen Zeitung den üblichen Schmu, und drum, jajajaja, drummüssen wir heut mit der “Katastrophe der Pressefreiheit“ leben, wie Hans Magnus Enzensberger 1983 die inzwischen allseits ästimierte Bildzeitung nannte. Das Ideal der vollkommnen Zeitung ist eins geblieben.

Hinweis: Willi Winkler, geboren 1957 im ländlichen Bayern, hat in München und St. Louis studiert und Bücher von John Updike, Anthony Burgess und Saul Bellow übersetzt. Er war Redakteur bei der Zeit und beim Spiegel und schreibt heute für die Süddeutsche Zeitung. Winkler, 1998 mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet, hat zahlreiche Bücher geschrieben, darunter eine Bob Dylan-Biografie und “Mick Jagger und die Rolling Stones“. Zuletzt erschien “Kino. Kleine Philosophie der Passionen“ (2002, dtv)