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: Mythos und Blödsinn

Um Subtilität geht es nicht: Nicolas Roegs entspannt manieristisches Alterswerk „Puffball“ (2007)

Bauarbeiter, die mit einem Schlauch durch eine Folie treten: ein harmloses Bild. Sollte man meinen. Genau das jedoch ist es nicht in Nicolas Roegs „Puffball“. Wer dabei eine Penetration herbeiassoziiert, hat keine versaute Fantasie, sondern folgt nur dem Film, der einem dergleichen nahelegt. Er ist voller Objekte, die unschuldig zu betrachten man schnell aufgibt. Etwa ein großer Stein in freier Natur mit einem runden Loch in der Mitte, durch das einmal Liffey (Kelly Reilly) ihrem Ehemann Richard (Oscar Pearce) entgegenblickt. Sie haben dann, um Subtilität geht es nicht, Sex auf dem Stein mit dem Loch mitten im Wald. Von außen blickt eine alte Frau, die vielleicht eine Hexe ist, auf das Paar. Nach innen schickt Roeg seine Kamera. Sie zeigt, weiß auf rot, den im weiblichen Körper eintreffenden Samenstrahl.

Liffey ist Architektin. Sie kommt mit ihrem Ehemann Richard aus London aufs Dorf, um ein verfallenes Haus nach allen Regeln der Baukunst wiederherzurichten. Der Film folgt dem Aufbau, und wenn das Haus am Ende vollendet ist, steht, weil in „Puffball“ alles und jedes symbolisch ist, fest: Liffey setzt ein Stück Moderne in eine Gegend, in der, wie sie bald zu spüren bekommt, ansonsten das Spökenkiekerische regiert. Die alte Frau, die vielleicht eine Hexe ist, ist die Mutter von Mabs (Miranda Richardson). Die hat schon zwei Kinder, aber will noch ein drittes. Allerlei Fruchtbarkeitsriten jedoch führen zu nichts. Also betrachtet sie Liffey, die nach dem Sex auf dem Stein schwanger ist, neiderfüllt. Umso neiderfüllter, weil sie glaubt, dass sich die Schwangerschaft Liffeys einem trunkenen One-Night-Stand mit ihrem, Mabs’, Ehemann Tucker (William Houston) verdankt. Zu den vielen ironischen Wendungen des Films gehört es, dass sie sich da irrt, nicht weniger übrigens als Liffey eine Weile lang selbst.

Einen fast 30 Jahre alten Roman der feministischen Autorin Fay Weldon hat die britische Regielegende Nicolas Roeg, inzwischen 80 und seit vielen Jahren ohne großen Erfolg, hier verfilmt. Weldon übertreibt Weiblichkeitsklischees von jeher furchtlos in Richtung Groteske. In „Puffball“ führt sie mit Gusto Fruchtbarkeitsmythen ad absurdum, indem sie gerade das Mythische und den Blödsinn daran in den Vordergrund stellt. Das Drehbuch von Dan Weldon, dem Sohn der Autorin, weicht in manchem vom Original ab, nicht zuletzt indem es die Figuren ernster nimmt, als Weldon mère es im Roman tut. Nicolas Roeg seinerseits imprägniert Weldons Schwangerschaftshokuspokus mit seiner eigenen, von jeher abnormen filmischen Fantasie. Indem er ins weibliche Körperinnere vordringt. Indem er Bilder schneller und auch ins Leere laufen lässt. Indem viele symbolisch aufgeladenene Gegenstände in friedlichen Natureinstellungen wieder entlädt.

Bedrohliches steht unvermittelt neben Groteskem, das sich mit dem Naturschönen ebenso wie mit dem sanft folklorisierenden Soundtrack erstaunlicherweise bestens verträgt. Das Unvermittelte war schon immer der besondere Zug von Roegs virtuoser Formsprache. Er hatte als Kameramann begonnen, wurde aber für seine schroff kontrastiven Schnittmontagen berühmt. Im Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ steckte der Schrecken nicht zuletzt darin, dass von einer Einstellung zur nächsten jeweils das Schlimmstmögliche denkbar war. Gewalt und auch Sex werden bei Roeg nicht genüsslich dargestellt, gewaltsam und lüstern ist eher die Art der Darstellung selbst. Auslassung und Schnitt suggerieren Gewaltigeres, als jemals im Bild zu sehen sein kann.

In „Puffball“ gibt sich Roegs manchmal arg manierierter Montagestil vergleichsweise entspannt. Dass kaum eine Einstellung, wie es konventionellerweise üblich ist, von der vorangehenden ausdrücklich angekündigt wird, zeitigt hier eher den angenehmen Effekt einer großen und großzügigen Offenheit: für noch eine neue Wendung, für jedes weitere Bild, für unerwartete Auftritte wie den Donald Sutherlands als Freund und Kollege der Protagonistin Liffey. Nicolas Roegs Kunst der Inszenierung in „Puffball“ ist die eines alten Meisters, der nach wie vor reizend exzentrisch ist.

EKKEHARD
KNÖRER

Die DVD ist für rund 15 Euro im Handel erhältlich