Entpflasterung: Vom Randale- zum Verkehrsknotenpunkt

Ein Platz wird neu definiert. Von den einst heiß umkämpften Steinen der Sielwallkreuzung bleibt nur ein schmaler Erinnerungsstreif

Bremen taz ■ Das Viertel-Pendant zum Marktplatz ist die Sielwallkreuzung. Das machte dessen gestrige Einweihung durch Bausenator Jens Eckhoff zum geschichtszäsuralen Akt, der weit über logistische Unlogiken der Neugestaltung – eine Fahrradspur endet unvermittelt vor dem pollerbewehrten Bürgersteig und zwingt die Radler in eine schmale Lücke zwischen Schiene und Bordstein – hinauswies.

Während der Bausenator von einer Aufwertung des Erscheinungsbildes sprach, ist genau dieses für Beiratssprecherin Monika Heuß „gründlich daneben gegangen“. In der Tat ist aus dem ungeliebten „Gammeleck“ kein graniteingefasster Jens-Eckhoff-Square geworden. Sondern eine hundsgewöhnliche Asphaltkreuzung, an deren frühere steinerne Grundierung nur noch ein schmaler Streifen längs der Schienen erinnert.

Die Entpflasterung des Platzes ist gleichzeitig der letzte Akt seiner Entmysthifizierung. Jahrelang galt er als Feier- und Feuerstelle der autonomen Szene, war Focus von CDU-Breitseiten gegen die angeblich zu weiche Linie der SPD-Innensenatoren. 1987, nach der Plünderung des Penny-Marktes an der Ecke, schien der Sielwall als Äquivalent des Kreuzberger Mariannenplatzes – jedenfalls als Ort jährlicher Randale-Rituale.

Fast zehn Jahre lang ging man nach dem Silvester-Feuerwerk auf dem Markt zum zweiten Teil desselben am Sielwall, probierte Deeskalation oder ließ Ralf Borttscheller (Bremens ersten CDU-Innensenator) mit drakonischen Mitteln um „zivilisatorische Mindeststandards“ kämpfen. Einige gehen jetzt noch hin, obwohl meist Beine-in-den-Bauch-Stehen statt Klohäuschen-Umsturz angesagt ist.

Auch bei der hiesigen Polizei hat sich die Kreuzung dergestalt im Hirn verlinkt, dass sie dort alle Unbotmäßigkeiten des Umkreis lokalisiert – jüngst das spontane Punkkonzert am Sielwall/Ecke Luisenstraße, das per Pressemitteilung zur Kreuzungsblockade mutierte.

Ein verwirrender Ort also nicht nur für Linke. Strammrechte Akteure wie Stephan Luft fühlen sich mit ihm durch biographische Erlebnisse verbunden: Zu Lufts Lieblings-Anekdoten gehört die Schilderung eisiger Schauer, die ihn schüttelten, als er in einer Silvesternacht von hinten gepackt und als Borttschellers Sprecher geoutet wurde – bis sich der Aggressor als Hermann Kuhn, frostvermummter grüner Bürgerschafts-Vizepräsident zu erkennen gab.

Es liegt also auf der Hand, warum die Neugestaltung – ausgelöst durch Profanitäten wie Schienenverbreiterung und Kanalbauten – zum Diskussionsloop wurde. Das „Stein oder Nicht-Stein“ züngelte den O’weg entlang, um im Kreuzungsbereich in der Zusatzfrage zu kulminieren, ob man die Radwege rot oder grau – Ton in Ton mit dem dort obsiegenden Asphalt – gestalten solle. Gegen seine politische Farbenlehre, wie Eckhoff kokettiert, habe er sich letztendlich für Rot entschieden, was freilich die Neuverlegung von rund 100 bereits gepflasterten Quadratmetern verlangte. Auch dieses Steinchenwechseldich unterstreicht die einstige Ebenbürtigkeit der Kreuzung mit dem mehrfach wieder aufgerissenen Markt.

Eine wichtige öffentliche Funktion wird die Kreuzung behalten: Als Treff der Drogenszene. Gestern zwar war der Platz vorübergehend „Fixer-frei“ gehalten worden. Aber die Kontinuität des Dealens und schlichten Seins am Sielwall wird allein schon durch die Schließung der offenen Anlaufstelle für Drogensüchtige am Bahnhof gewährleistet. Henning Bleyl