Hammerprosa

Viele sensationelle Nebenhandlungen, mit aller Macht in einen Roman gezwungen: „Yellow Dog“ von Martin Amis

Es gibt in Martin Amis’ neuem Roman „Yellow Dog“ eine echte Geschichte und jede Menge Geschichtchen. Der instabile Kern dieses explodierenden Romans ist die Geschichte von Xan Meo, Schauspieler und Schriftsteller, der nach einem Schlag auf den Kopf plötzlich nicht mehr derselbe ist wie zuvor. Der Musterehemann und Vorbildvater hat durch die Kopfverletzung, die ihm ein bezahlter Schläger zufügt, seinen Halt in den Konventionen, Regeln und Tabus der Zivilisation verloren. Er weiß, wie er sich zu verhalten hat, aber das bedeutet ihm nichts mehr. Stattdessen kämpfen sich unangenehme Triebe ans Licht.

Eine ebenso faszinierende wie verstörende Situation, idealer Stoff für einen Roman, wenn Amis ihm die notwendige Aufmerksamkeit zugestanden hätte. Doch leider vertraut er der Kraft seiner Geschichte nicht und spinnt sie in ein Netz von sensationellen Nebenhandlungen ein, die von der tiefsten Gosse bis hinauf ins englische Königshaus hinaufreichen, um nur ja keine Seite ohne mindestens einen Knaller zu präsentieren.

Selten sind so unter Druck geschriebene Erzählfragmente gewaltsam zu einem Roman amalgamiert worden wie hier. Amis ist ein Schwergewichtsschreiber, der scheinbar unermüdlich austeilen kann, und jede neue Seitenlinie, jede neue Episode oder Figur schreit förmlich: Meisterschaft, verbales Feuerwerk, aberwitzige Einbildungskraft. In seinem verzweifelten Willen, nur ja nicht kraftlos zu erscheinen, ist es ein Buch geworden für halb Ertaubte oder für jene, die Musik erst dann goutieren, wenn sie sie im Bauch vibrieren spüren.

Ein Besuch in dem zur Pornostadt mutierten Hollywood reicht da nicht: Es muss dort auch noch einen Heckenschützen geben, der Pornodarsteller verstümmelt sowie einen Kometen, der vielleicht die Erde rammen wird. Unentwegt verfährt Amis nach dieser Strategie der literarischen Planübererfüllung, und man bewundert ihn für seine nie versiegende, hoch professionelle Schreibaggressivität.

Man muss es ihm lassen: Amis besitzt die Fähigkeit, selbst die abgenutztesten Stereotypen amüsant und witzig darzustellen, den treuen Kammerdiener mit seiner nie ausgesprochenen Liebe zur Prinzessin, den widerlichen Boulevardschmierer, den Schläger mit dem Herzen am rechten Fleck. Wenn Amis diese Figuren beschreibt, stört man sich kaum an den Klischees, dafür sind sie viel zu unterhaltsam. Aber man nimmt sie nicht ernst. Wie jeder Zauberkünstler braucht Amis die Distanz zum Publikum, damit seine sprachlichen und erzählerischen Tricks ihre Wirkung voll entfalten können, nichts in seinem Roman geht dem Leser nahe.

Wenn dies schon nicht auf Xan Meo mit seiner Kopfverletzung und Persönlichkeitsveränderung zutrifft und damit Amis‘ einzigen Versuch eines echten Charakters, dann umso weniger auf Clint Smoker, den Schreiber- und Widerling, dessen sexistische Klappe so groß ist wie sein Geschlechtsteil klein, oder auf Joseph Andrews, den Unterweltkönig, der ganz aus Gossensprache und körperlicher Gewalt zusammengesetzt scheint, und auch nicht auf den König von England, trotz komatöser Königin und kompromittierter Prinzessin.

Eine Handlung gibt es trotz allem nicht wirklich, irgendwie hängen die einzelnen Figuren schon miteinander zusammen, aber die Verbindungen sind von einer Beliebigkeit, die an die Theorie erinnert, dass sich zwischen jedem Menschen auf der Welt über höchstens sechs Ecken eine Beziehung herstellen lässt.

Als ein verbindendes Element zieht sich die Leitthese durch den Roman, dass der Mann seit fünf Millionen Jahren am Steuer der menschlichen Zivilisation steht samt der ausgesprochenen Implikation, dass nach dieser Zeit ein Führungswechsel gar nicht unangebracht wäre. Der Eindruck, der bei der Lektüre entsteht, ist jedoch ein anderer: So schnell wird sich an diesem Zustand nichts ändern, und das Bedauern darüber hält sich allgemein in Grenzen. Egal ob es um die Pornoindustrie geht, die Skandalpresse oder die Lebensläufe von Gewaltverbrechern: Es ist eben so, wie es ist. Ein Mann macht, was ein Mann machen muss, der Unterschied ist höchstens, dass die einen erst einen Schlag auf den Hinterkopf brauchen, während es die anderen schon immer gewusst haben und in Zeitungsartikeln zur Sprache bringen, wie sie selbst in der nicht gerade zimperlichen englischen Presselandschaft zum Glück noch unmöglich sind.

Der englische Romancier Tibor Fischer hat in einem Artikel für den Guardian die Erlaubnis gegeben, ihn zu erschießen, sollte er jemals ein Buch wie „Yellow Dog“ veröffentlichen. Das ist sicherlich eine übertriebene Reaktion und nicht frei von Schriftstellerneid. Sicher aber ist auch, dass Amis mit diesem Roman einem so provokativen wie ernst zu nehmenden Oeuvre ein Werk hinzugefügt hat, das nicht mal mehr provoziert, weil man es zu wenig ernst nehmen kann.

SEBASTIAN DOMSCH

Martin Amis: „Yellow Dog“. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Hanser, München 2004, 354 S., 24,90 Euro