Sprich nur mit Jauch

Stern TV hat einen Absolutheitsanspruch. Für die Story „Stalker terrorisiert Dorf“ nahmen Jauchs Journalisten deshalb eine ganze Straße unter Vertrag

VON SASCHA TEGTMEIER

Die Anwohner der Rosenstraße dürfen ab heute wieder öffentlich über ihren „Stalker“ reden – Stern-TV hat die Telefonterror-Geschichte in den vergangenen zwei Tagen in aller emotionalen Tiefe gesendet. Bis dahin waren die Stalker-Geschädigten im rheinland-pfälzischen Dörfchen Rettert per Vertrag zur Fernsehabstinenz gezwungen.

Die sieben Familien in der Rosenstraße, die am meisten von dem Stalker betroffen sind, wurden beinahe komplett von den Fernsehmachern in die Pflicht genommen: Sie durften mit keinem anderen Fernsehteam über die quälenden Anrufe des Leipzigers Oliver P. sprechen. Ansonsten hätten sie eine Konventionalstrafe zahlen müssen.

Die Story war auch bei anderen Sendern begehrt, denn sie ist gut: Seit April terrorisiert Oliver P. das 500-Seelen-Dorf Rettert in der Nähe von Koblenz mit Drohanrufen – seine Exfrau Daniela H. ist vor ihm dorthin geflüchtet. Der Leipziger hatte den neuen Wohnort seiner Verflossenen, nicht aber ihre Telefonnummer herausbekommen. Bis zu 100 Mal soll er deshalb bei ihren Nachbarn und anderen Rettertern jeden Tag angerufen haben und gedroht haben, um mit Daniela H. zu sprechen. „Ich weiß, wo Ihre Kinder spielen“, und „Ihr Haus könnte angezündet werden“, hatte er beispielsweise gesagt.

Während Stern TV in einer 45-Minuten-Reportage auf Vox („Du entkommst mir nicht – Liebesterror“) und einem Magazinbeitrag bei Günther Jauch („Lieb mich oder stirb“) das Thema mit packenden O-Tönen der Betroffenen ausschlachtete, gingen andere Fernsehsender leer aus: Alle bisherigen Beiträge zum Thema sind ohne einen einzigen O-Ton der Dorfbewohner über den Schirm gegangen. „Die konnten dann nur noch das Ortsschild filmen“, amüsiert sich ein Bürger.

Die Macher der „Stern TV“-Beiträge, die Hamburger Produktionsfirma Miramedia, hatten die Einwohner des Dorfes schon unter Vertrag, bevor andere Medien durch einen Radiobeitrag vor zwei Wochen darauf aufmerksam wurden. „Wir sind da schon seit mehreren Monaten dran“, erklärte Miramedia-Geschäftsführer Dirk Willers auf Anfrage der taz.

Unklar ist, warum die Betroffenen den Vertrag unterschrieben haben. Auf einer A 4-Seite wird dort den Unterzeichnern verboten, sich von einem anderen Kamerateam ablichten zu lassen. Für einen Branchenkenner ist die Sache klar. „Es wäre naiv zu glauben, dass die Leute einen solchen Knebelvertrag einfach so unterschreiben. Stern TV ist dafür bekannt, hohe Summen für Exklusivgeschichten zu bezahlen“, sagte der Fernsehjournalist der taz. Es sei nichts Ungewöhnliches, dass Betroffene auf diese Weise „eingetütet“ würden.

Willers von Miramedia weist den Verdacht des „Scheckbuch-Journalismus“ weit von sich. Es gehe in dem Vertrag um den „Schutz der Geschichte auf dem Fernsehmarkt“ und Geld würde darin nicht vorkommen. Auch gesprächsbereite Retterter beteuerten, es wäre nicht um Honorare gegangen: „Wir waren froh, dass sich endlich jemand des Themas annimmt“, sagte Sonja Diefenbach, Ehefrau des Bürgermeisters, der taz. Sie selbst habe nichts unterschrieben. Das Team von Stern TV habe sich aber „viel Mühe“ gegeben.

Heike Pfeiffer hatte sich geweigert, die Vereinbarung zu unterschreiben. Sie hat dem „sehr sympathischen“ Fernsehteam jedoch „ihr Wort“ gegeben, sich von keinem anderen Sender ablichten zu lassen. „Die Leute haben unterschrieben, damit sie ihre Ruhe haben“, sagte Diefenbach. Zum einen vor dem Stalker, zum anderen aber auch vor den Medien. „Erst kam der Stalker, dann die Presse“, sagte sie.

Jetzt, wo die Beiträge gelaufen sind und Daniela H. gestern Abend bei Günter Jauch auf dem Sofa saß, haben die Retterter noch weniger Interesse an den Medien. Der taz sagte Diefenbach: „Ich würde keinem Fernsehteam mehr die Tür aufmachen.“