ddr, 8. 10. 1989: noch 1 Tag bis zur Wende
: Die Staatsmacht bereitet den „Spannungsfall“ vor

– Demo in Berlin: 3.000 Menschen von der Polizei eingekesselt, hunderte verhaftet.

Demos in Kleinstädten wie Ilmenau, Prenzlau, Guben.

– Sitzstreik bei der Stadtwirtschaft Pirna.

– DDR-weit werden mehr als tausend Menschen verhaftet.

– Stasi-Chef Mielke befiehlt „volle Dienstbereitschaft“ und kurzfristige Verhaftung oppositioneller Personen.

– In Leipzig wird vor der Montagsdemo ein Operativer Einsatzstab gebildet. Alle Einheiten sollen sich auf den „Spannungsfall“ einrichten. Die Verhaftung mehrerer hundert Oppositioneller wird vorbereitet.

– Leipzigs Bürger werden aufgefordert, die Innenstadt zu meiden. Krankenhausbetten und Blutkonserven werden bereitgestellt, Speziallager eingerichtet.

– Telegramm von Honecker: „Weitere Krawalle von vornherein unterbinden!“

5.000 Menschen starten auf dem Dresdner Theaterplatz eine Demo. Ihre Zahl wächst schnell.

– Am Abend werden 6.000 Menschen eingekesselt. Als Zeichen der Gewaltlosigkeit setzen sie sich auf die Straße, singen. Die Polizei ist verwirrt, greift nicht ein. Aus dem Kessel heraus gelingt es Kirchenvertretern, Kontakt mit der Polizeiführung aufzunehmen.

Diese ordnet zur Deeskalation an, Polizeischilde und Helme abzulegen. Die Kirchenvertreter erhalten die Zusage für einen Dialog mit Vertretern der Stadt am nächsten Tag. Daraufhin wählen die Eingekesselten 20 Vertreter aus ihren Reihen – die „Gruppe der 20“. Erstmals geht eine Demonstration gegen die Staatsmacht ohne Gewalt zu Ende.

Gedächtnisprotokolle von Gefangenen der Speziallager, veröffentlicht in der taz:

Mein Nebenmann hielt nicht durch, brach langsam zusammen, dafür wurde er getreten, durfte sich danach aber als Gnadenakt („Damit Sie spüren, wie human wir sind“) kniend an die Wand lehnen.

Auf die Frage eines anderen, ob er auf die Toilette gehen kann, weil er blasenkrank sei, wurde geantwortet: „Das will ein Deutscher sein? Bettnässer, was?“ Andere hatten sich in die Hose gemacht vor Angst.

Ich hörte die Schläge und die Schreie des Jungen, dazu bellten Polizeihunde, die ohne Maulkorb hinter uns angebunden waren. Ein Polizist sagte: „Wollt ihr wissen, was Demokratie ist?“ Darauf folgte ein Schlag und ein Schrei … Es folgten noch Bemerkungen wie: „Wir warten, bis ihr euch in die Hosen geschissen habt, dann können wir mit euch reden.“ Ich stand da und zitterte vor Angst und Kälte. RENI