Fußpflege unter der Grasnarbe
: Die neue Heimat

Eigentlich wäre Shapur am Samstag gerne dabei gewesen in Teheran. Ist ja immerhin sein Geburtsort. Er liebt die deutsche Nationalmannschaft und hätte gerne gesehen, wie sie in diesem riesigen Stadion seiner Kindheit aufgespielt haben.

Immerhin: Einmal war er schon live dabei, Anfang der 80er, in Stuttgart, gegen Brasilien. Nicht der schlechteste Gegner. Die waren damals mit Junior angetreten, mit Socrates und natürlich mit dem fantastischen Zico. 2:1 hatten die Südamerikaner gewonnen und Junior hatte den Siegtreffer erzielt. Ein Freistoß, über die Mauer geschlenzt, an die Unterkante der Latte und von da auf die Linie. Der Schiedsrichter entschied auf Tor.

Shapur hatte es nicht gesehen. Er saß 50 Meter entfernt und wusste wirklich nicht, ob der Ball nun drin war oder nicht. Seitdem denkt er anders über viele Dinge. Das Tor von Wembley zum Beispiel. Wenn man schon aus 50 Metern nicht erkennen kann, ob der Ball drin war oder nicht, pflegt er zu sagen, wie soll man das mit 35 Jahren Entfernung können. Nur eines sei sicher: Niemand werde sich je sicher sein können, ob der Treffer regulär war oder eben die Torlinie nicht überquert hätte. Ähnlich sei es mit Persien.

Er sagt immer, er sei Perser, nie nimmt er das Wort Iran in den Mund. Nie werde er sich ganz sicher sein können ob er Persien hasst oder liebt. Nicht auf diese Entfernung. Räumlich wie zeitlich. Zu lange war er nicht mehr dort. Das totalitäre Regime der Ajatollahs ist ihm ein Gräuel, gegen das er aus der Ferne kämpft. Schon allein deshalb war es ausgeschlossen, dass er nach Teheran hätte fliegen können. Nicht dass er den Schah lieber gehabt hätte. Er nennt ihn nur den elenden Mörder und ärgert sich dann über seine Eltern. Shapur haben sie ihn genannt, Sohn des Königs, Sohn des Schah.

Überhaupt gab es in seiner Heimat noch nie eine Regierung, die ihm behagt hätte. Denn er ist überzeugter Kommunist. Nicht nur so ein pseudorevolutionärer Dampfplauderer, sondern ein kadergeschulter, kluger Kopf, der genau skizzieren kann, wie man eine Gesellschaft wie die deutsche des Jahres 2004 zu einer sozialistischen formen könnte, um sie zufriedener und glücklicher zu machen. Oder wie man den totalitären Iran in ein liberales, offenes und säkulares Persien transformieren könnte. Mit einem friedliebenden, kultivierten und begeisterungsfähigen Volk, wie es seine Landsleute seien, könnte man sogar ein Vorbild bei der Befriedung des Nahen Ostens werden. Noch ein Grund mehr, warum Shapur Teheran niemals wieder sehen wird.

Aber den Jürgen Klinsmann, den würde er schon gerne einmal treffen. Er hat ihn oft spielen sehen, damals in Stuttgart, wo er fast 25 Jahre lebte. Aber nicht in der Nationalmannschaft. Da war es Klaus Fischer der das Tor schoss gegen die Brasilianer, das 1:0. Und ein fantastisches Mittelfeld hatten die beieinander: Bernd Schuster, Hansi Müller, Felix Magath und Paul Breitner. So könnte es bald wieder sein, sagt er. Wenn der Jürgen seinen Weg geht, dann sehen wir eine wunderbare Weltmeisterschaft 2006. Er hat sich fest vorgenommen, alle Spiele zu besuchen, die in der Hamburger AOL-Arena stattfinden. Und wenn das Endspiel dann, wie er es sich wünscht, Deutschland gegen Brasilien heißt, werde er um jeden Preis nach Berlin fahren und das Spiel anschauen. Und dieses Mal gewinnen wir, sagt Shapur. Wir. Als sei die Nationalmannschaft seine Heimat.

Fotohinweis: Eberhard Spohd ist Mitglied der Flat Earth Society und glaubt an das Gute im Menschen sowie die Wundertätigkeit einer schönen Tasse Tee am Morgen