Fachfrauen gewinnen Raum

Erstmals arbeiten mehr Berlinerinnen als Berliner in sozialversicherungspflichtigen Jobs.Viel zu sagen hat das nicht: Viele Männer wurden entlassen, und Frauen arbeiten häufig Teilzeit

VON CHRISTINE KEILHOLZ

Von einem Quantensprung an weiblicher Kompetenz und Risikobereitschaft kann gar nicht die Rede sein. Die Berlinerinnen haben einfach in den vergangenen Jahren mit kleinen Schritten an Terrain gewonnen: Betrug 1999 ihr Anteil an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen noch 49,6 Prozent, so gelang ihnen jüngst die Mehrheit zu erringen. Dies geht aus einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit hervor.

Die mittlerweile 51,5 Prozent sind laut Andreas Splanemann von Ver.di zunächst in den traditionell von Frauen besetzten Berufen zu anzutreffen – Erziehung, Pflege, Einzelhandel und nicht zuletzt im Büro. „Bei den Verwaltungsjobs sind Frauen mittlerweile mit über 90 Prozent dabei“, so Splanemann. Ohnedies bietet der Dienstleistungssektor Frauen umfangreiche Betätigungsfelder: Die sich seit Jahren geradezu explosionsartig vermehrenden Callcenter beispielsweise setzen bewusst auf Vertrauen erweckende weibliche Stimmen.

Im Wesentlichen setzt sich in den neu ermittelten Zahlen lediglich fort, was auf dem Arbeitsmarkt längst beobachtbar ist. „Frauen stellen mehr Engagement unter Beweis“, findet Christina Müller-York von der Industrie- und Handelskammer Berlin. „Im vergangenen Jahr haben deutlich mehr Frauen als Männer an unseren Fortbildungsmaßnahmen teilgenommen.“ Frauen seien in Schule und Studium zunehmend erfolgsorientiert, sie zeigten im Berufsleben mehr Bereitschaft zu Zusatzqualifikation und Ortswechsel.

Dennoch könne man die erfreulichen Werte nicht als zu großen Erfolg feiern, warnt Müller-York. Es schlage sich hier ebenfalls nieder, dass Männer stärker vom Arbeitsplatzabbau betroffen sind. „Besonders die steigenden Arbeitslosenzahlen in Bausektor spiegeln sich in den neuen Zahlen wider.“

Auch im Bundesvergleich der selbstständig tätigen Frauen rangiert Berlin recht weit vorn (siehe Interview). Mehr als 8 Prozent aller berufstätigen Frauen in der Hauptstadt arbeiten unter eigener Flagge. Im vergangenen Jahr wurden, so das Statistische Landesamt Berlin, von 29.985 neuen Einzelunternehmen immerhin ein Drittel von Frauen ins Leben gerufen. Nur noch in Hamburg ist ihr Anteil höher.

Eine besonders für Frauen attraktive Form der Selbstständigkeitsverwirklichung sind die Ich-AGs. Hier waren 2002 die Frauen bundesweit mit 40 Prozent dabei. Dies spricht einerseits für weibliche Risikobereitschaft. Laut Frank Wießner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt sich hier aber auch ein Erfolg des umstrittenen Modells: „Die Ich-AG ermöglicht Frauen Selbstständigkeit auch unter Teilzeitbedingungen.“ Frauen mit Familie, die ihr eigenes kleines Unternehmen betreiben, treten in den seltensten Fällen als Alleinverdienerinnen auf. „Wenn der Partner verdient, ist der Druck für die Frauen, ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen, abgeschwächt“, so Wießner.

Dennoch bedeutet diese Entwicklung nicht, dass sich die Rahmenbedingungen für berufstätige Frauen merklich verbessert hätten. Ver.di-Sprecher Splanemann weist darauf hin, dass viele der hinzugewonnenen Arbeitsstellen auf Teilzeitbasis besetzt werden. Von Frauen, die nach wie vor sehr viel stärker im Spannungsfeld zwischen Familie und Job agieren.