Zurück ins Leben

Drei Jahre nach „Big Brother“ haben die Teilnehmer der ersten Staffelnoch mit dem „Ruhm“ zu kämpfen („Der Fall der Sieger“, 22.15 Uhr, ZDF)

von SILVIA HELBIG

Ja, ja die Menschenwürde. Jeder der Kandidaten solle nach seinen Shows unverletzt und ohne sich zu schämen über die Straße gehen können. Das sei das Wichtigste für ihn, beteuerte TV-Produzent John de Mol vor dem Start der ersten deutschen „Big Brother“-Staffel. Schon vier Wochen später war das Gegenteil der Fall. Als im April 2000 der Mob hinter der Mauer „Manu raus! Manu raus!“ skandierte, war klar: Manu war verletzt. Sie betrank sich daraufhin mit Rotwein und kotzte in den Garten, während Millionen Zuschauer live dabei waren. Höchstwahrscheinlich schämte sie sich danach auch.

Nur schwer waren die Sieger der ersten „Big Brother“-Staffel – Andrea, John und Jürgen – wieder vor die Kamera zu bewegen, erzählt die Autorin des Films „Der Fall der Sieger“, Vanessa Nöcker. Auch sie habe damals die Doku-Serie mit großem Interesse verfolgt und sich gefragt, was aus den ersten Normalo-Stars geworden sei.

Ihre Reportage zeigt: Drei Jahre nach der ersten „Big Brother“-Staffel hat sich das Leben der Kandidaten grundlegend geändert. Am schlimmsten hat es John erwischt. Für 200.000 Mark Siegprämie hat der Zimmermann aus Potsdam seine Familie verloren. Die Freundin ist während der mehr als drei Monate im Container mit seinem besten Freund zusammengekommen. Um das neue Glück nicht zu stören, ist der ehemalige Hausbesetzer aus Potsdam weggezogen. In der westfälischen Pampa legt er jetzt als DJ auf Trance-Festivals auf. Seinen kleinen Sohn sieht er nicht mehr. Wenn er drei Wünsche hätte? Ganz klar: Wieder eine Familie haben, als DJ arbeiten und nie mehr auf „Big Brother“ angesprochen werden.

Auch für Andrea gab es kein Zurück in ihr altes Leben. In ihrem Beruf als Projektmanagerin habe sie niemand mehr ernst genommen. Wie auch, wenn man mit 35 Jahren als Poster in der Bravo klemmt. Andrea ist nach Portugal gezogen: „Das war keine Flucht, aber ich bin froh, hier nicht mehr erkannt zu werden.“

Auch Jürgens Familie wäre an dem Stress nach „Big Brother“ beinahe zerbrochen. Drei Monate musste der Kölner sich in seiner Wohnung verbunkern, um sich vor den Fans zu schützen – von denen er jetzt allerdings immer noch lebt. Für 18 Euro Eintritt kann man den ehemaligen Ford-Angestellten am Ballermann singen hören. Zumindest Andrea und John würden offensichtlich einiges dafür geben, niemals bei „Big Brother“ mitgemacht zu haben. Sich erst rund um die Uhr begaffen lassen und dann nicht mehr erkannt werden wollen? Selbst schuld, könnte man meinen.

„Sie waren die Ersten, die in den Container gegangen sind. Sie konnten nicht wissen, welches Ausmaß die Folgen haben werden“, nimmt die Autorin Nöcker die Protagonisten in Schutz. Tatsächlich entwickelte sich das erste deutsche Dokusoap-Format zu einem Selbstläufer in vorher nie gekanntem Ausmaß. Niemand konnte ahnen, welche Ausmaße das TV-Menschenexperiment annimmt? John de Mol schon. Genau ein Jahr hat Andrea den Rummel als plötzlicher TV-Star verkraftet. Dann war sie nervlich fertig. Genau ein Jahr lang sicherte sich Endemol vertraglich das Recht auf die Hälfte aller Einnahmen der Kandidaten durch „Big Brother“.

Die heutigen „Superstars“ sind sogar für zehn Jahre an die Marketingmaschinen der Sender gefesselt. Welche Folgen das für Daniel Küblböck & Co. haben wird, lässt sich nach den Erfahrungen der ersten Generation Über-Nacht-Stars ganz gut vorstellen.

Bald werde die Zeit nur noch in „Vor Big Brother“ und „Nach Big Brother“ eingeteilt werden, protzte John de Mol noch vor drei Jahren. In diesem Punkt hat er sogar Recht behalten – vor allem, was das Leben der Kandidaten anbelangt.