Wir können auch anders

„Ich hocke mich nicht hin und heule“, sagt Oberbürgermeister Jürgen Machwirth. „Es wird schon weitergehen“

AUS IDAR-OBERSTEIN KIRSTEN KÜPPERS

In Idar-Oberstein riecht die Zukunft jetzt nach Teppichkleber. Die kleine Stadt hat einen hässlichen, flachen Bau am Rande des Zentrums stehen. Keiner hätte gedacht, dass das leere Warenhaus noch einmal einen neuen Teppich bekommt. Die besten Tage des Gebäudes sind lange her. In den 70er-Jahren standen Beton und braunes Blech noch für eine ungewohnte Modernität im Hunsrückstädtchen. Einkaufen ist Fortschritt und Notwendigkeit, sagte die Architektur den Menschen.

Allerdings war der Reiz des Funktionalen mit der Zeit irgendwie verloren gegangen. C&A zog aus. Vier Jahre lag der Bau verlassen da. Schmutzige Schaufensterscheiben zeigten nichts her, die Jugendlichen ließen auf dem Weg zum Bahnhof ihre Bierflaschen an der Hauswand stehen. Niemand hätte gedacht, dass die Leute hier noch einmal stolz sein würden auf das Gebäude.

Aber jetzt ist es doch so gekommen. Jetzt schmieren die Handwerker Klebstoff auf den Estrich, Betriebsamkeit herrscht im weiten Ladenraum. Und wenn alles fertig ist, hat Idar-Oberstein eine billige Kick-Markt-Filiale mehr, einen Discounter für preiswerte Hosen und Blusen.

„Wir sind sehr froh über diese Lösung“, sagt Stephanie Leyser. Die zierliche Frau mit dem Kurzhaarschnitt versucht viel Zuversicht in ihr Gesicht zu legen, als sie auf die Baustelle zeigt. Denn natürlich weiß auch Leyser, dass ein Kick-Markt keine Sensation ist für die 33.646 Bewohner der Stadt – aber besser als nichts. Und dass sie als städtische Leerstandsmanagerin den Discounter hierher geholt hat, ist doch ein Erfolg. Eine Entwicklung, die Hoffnung macht.

Denn dass die Zukunft jetzt nicht mehr an großen Kaufhäusern wie Karstadt hängt, haben die Menschen in Idar-Oberstein sehr plötzlich erfahren. „Es war ein Schock“, ruft der Oberbürgermeister sogar. Jürgen Machwirth sitzt in seinem Besprechungszimmer, hinter ihm auf dem Fensterbrett stehen zwei Topfpflanzen.

Vor zwei Wochen ist es passiert. Die Karstadt-Filiale, der größte Einzelhändler der Stadt, feierte gerade 25-jähriges Jubiläum. Es gab ein Fest, die Leute haben ein Zelt aufgestellt. Sie haben Biere getrunken und Würste gegessen und gehört, wie der Filialleiter eine Rede gehalten hat. Er hat von „Musterfiliale“ und „Investitionen“ gesprochen. Und da hat den Oberbürgermeister schon ein seltsames Gefühl beschlichen – denn aus der Karstadtzentrale in Essen war keiner gekommen zum Jubiläum.

Und einen Tag nach dem Fest hat es dann ja in der Zeitung gestanden. Dass Karstadt in der Krise ist und auch die Filiale in Idar-Oberstein betroffen sei. Jürgen Machwirth ist ein breiter Mann. Vor kurzem ist er aus einem Amerikaurlaub zurückgekommen mit einer tiefen Bräune im Gesicht. Aber es gibt Entwicklungen, die eine Erholung schnell zunichte machen können: „Als wir gehört haben, dass der Standort gefährdet ist, waren wir mehr als bedrückt“, brummt Machwirth. Schließlich lässt er gerade den Platz vor Karstadt für 1,1 Millionen Euro sanieren.

Und natürlich herrschte dann erst einmal eine miese Stimmung in der Stadt. Es wird jetzt viel darüber geredet, ob das alte Warenhauskonzept mit Durchschnittsware zu Durchschnittspreisen überhaupt noch zeitgemäß ist in einer Welt, in der alle Individualisten sein wollen.

Das Karstadthaus in Idar-Oberstein ist ein Furcht erregender Klotz aus Granitplatten. Er steht am Ende der Fußgängerzone und hat keine Fenster. Aber wenn Karstadt dicht macht, ist das nur der Anfang, meinten die Leute. Dann gehen auch die kleinen Läden drumherum kaputt. „Idar-Oberstein stirbt“, klagt die Verkäuferin in der Bäckerei gegenüber, die Frau vom Brezelstand wischt sich die Hände an der Schürze und sagt: „Dann wird es hier ganz still.“ Es scheint, als haben die Leute vergessen, dass es schon lange nicht mehr gut läuft mit Karstadt.

Drinnen in der Filiale ist die Laune nicht besser. Am Eingang von Karstadt bläst das Gebläse warme Luft auf den Besucher herunter. Ein paar Rentnerinnen schlendern zwischen dem Angebot aus Steppjacken und braunen Strumpfhosen umher. Der Mister-Minit-Mann trommelt mit den Fingern auf seinen Tresen, kratzt sich am Kopf. Die Verkäuferinnen an ihren Kasseninseln gucken missvergnügt und wollen nichts sagen. Und am verdrießlichsten wirkt ihr Filialleiter Johannes Bendiek.

Angespannt steht Bendiek in der Herrenabteilung zwischen Kleiderständern und wippt auf die Zehen. Die Spannung kommt, weil er ein paar Dinge klarstellen muss: Die anderen haben Schuld an der Krise. Zum Beispiel die Stadtverwaltung, die vor der Stadt ein Gewerbegebiet genehmigt habe. Das Gewerbegebiet mache dem Zentrum zu viel Konkurrenz, schimpft Bendiek und schimpft gleich weiter über fehlende Parkplätze in der Stadt.

Aber das ist nicht alles: das Warensortiment! Sein Geschäft müsse „alle Altersklassen und Figurprobleme“ bedienen. Irgendwann fallen ihm noch „Management-Fehler“ bei der Karstadt-Zentrale ein. Man könnte meinen, die ganze Welt habe es auf Johannes Bendiek abgesehen.

Und wie läuft Karstadt in Idar-Oberstein? Seine Filiale schreibe „rosa Zahlen“, verteidigt sich Bendiek lahm. Die Kosten für eine Renovierung im Jahr 1999 seien noch nicht reingeholt. „Das dauert eben.“ Bendiek will das Beste für sein Geschäft, dass er ein großer Filialleiter ist, kann keiner sagen. Er guckt auf das Sonderangebot, das neben ihm liegt: beigefarbene Herrenpullover für fünf Euro.

Es ist unklar, wie es weitergeht. Eben ist Bendiek von einer Krisensitzung in der Essener Zentrale zurückgekommen. Zwei Tage haben sie an langen Tischen zusammengesessen und geredet. Derzeit werde ein Modell favorisiert, das vorsieht, die Niederlassung in Idar-Oberstein als eine von 77 „Kompakt“-Filialen für zunächst drei Jahre weiterzuführen. Das bedeute allerdings Kürzungen bei Lohn und Urlaubstagen für die 40 Beschäftigten.

„Ich bin verhalten optimistisch“, knurrt Bendiek und macht ein böses Gesicht. Dann fängt er wieder mit den fehlenden Parkplätzen an. Und das klingt schon befremdlich, angesichts der Tatsache, dass unter dem Karstadt-Gebäude in Idar-Oberstein eine Parkgarage mit über 300 Stellplätzen ist.

Vielleicht hält die Erholung eines sonnigen USA-Urlaubs doch nachhaltiger vor, als man denkt. Es kann auch Pragmatismus sein, der den Oberbürgermeister Jürgen Machwirth vor zu viel Niedergeschlagenheit schützt. Wahrscheinlich macht ihm einfach der neue Kick-Markt Mut. Machwirth federt mit seinem Stuhl zurück. „Ich hocke mich nicht hin und heule“, erklärt er, „es wird schon weitergehen!“

Aber wie? Machwirth verschränkt die Hände. Er sieht aus wie ein guter Onkel jetzt. „Wir werden helfen, wo immer wir können“, sagt er und lächelt. Das Lächeln verzieht sich zu einem Raubtierlächeln. „Parallel werden wir uns aber auch mit Investoren zusammensetzen und über andere Möglichkeiten sprechen.“ Das klingt, als ob der Oberbürgermeister von Idar-Oberstein das Vertrauen in Karstadt längst aufgegeben hat. Das klingt, als sei Jürgen Machwirth schon einen Schritt weiter.

Wer die Gründe für dieses Voranpreschen sucht, landet wieder beim Kick-Markt. Der Kick-Markt ist für den Oberbürgermeister das Beispiel dafür, dass es sich lohnt, früh zu reagieren. Vor drei Jahren hat Machwirth in seiner Verwaltung die Abteilung für „Leerstandsmanagement“ gegründet. Die Abteilung besteht aus der Teilzeitkraft Stephanie Leyser. Und Leyser hat den Kick-Markt geholt.

Und wer dann wirklich einmal mit der Leerstandsmanagerin durch die Fußgängerzone läuft, ihr folgt, wie sie die schmalen Straßen durcheilt, ihre Schuhe klappern aufgeregt auf dem Pflaster, der kann schnell erfahren, dass ein leeres Haus nicht gleich die Verödung der gesamten Stadt bedeuten muss. Dass immer etwas anderes kommt.

Leyser läuft an tristen Zweckbauten vorbei, an bunten Fachwerkhäusern, „und schauen Sie doch mal“, ruft sie: Aus der Boutique ist ein Bäcker geworden, aus dem Fotogeschäft ein Café, in die Bankfiliale ist ein Modeladen eingezogen. Der Kick-Markt kommt, und für das leere China-Restaurant wird Stephanie Leyser auch noch etwas finden. Für ihre Arbeit hat sich die Leerstandsverwalterin mit zwei Sätzen bewaffnet. Sie gehen so: „Jede Krise bietet Chancen“ und: „Wenn man etwas in Schwingungen bringt, kommt etwas zurück“.

Das klingt sehr schön und auch sehr einfach. Aber Leyser hat zwei Falten um den Mund, die strenger werden, wenn sie von ihren Bemühungen redet. Sie zeigen auch, dass es keine einfache Sache ist, die Dinge in Idar-Oberstein am Laufen zu halten.

Wenn ein Geschäft in der Innenstadt leer steht, fängt Stephanie Leyser an zu telefonieren – so lange, bis sie allen auf die Nerven fällt, sagt sie. Leyser setzt sich mit den Eigentümern zusammen, mit Maklern, sie hört sich nach Interessenten um, führt Investoren durch die Fußgängerzone. Sie erklärt, dass die Mieten runter müssen. „Viele haben ja völlig überzogene Vorstellungen.“ Manchmal, wie beim verlassenen C&A-Gebäude, klettert Leyser sogar selbst in die Schaufenster, hängt Plakate auf und kostümiert Schaufensterpuppen. „Damit nicht alles so trostlos wirkt.“

Und wie sie von ihrer Arbeit erzählt, wie die Falten um den Mund mal steiler werden und wieder glatt, da ist Leyser offensichtlich schon so drin in ihrem Beruf, dass sie gar nicht merkt, dass sie über das Karstadt-Gebäude bereits genauso redet wie ihr Chef, der Oberbürgermeister. So als wäre Karstadt längst weg aus der Stadt. „Ich wehre mich dagegen zu sagen, da kommt nichts Neues“, sagt Leyser etwa. „Eine Shopping-Mall mit vielen kleinen Geschäften ist doch eine schöne Möglichkeit für das Objekt“, findet sie. Oder „man könnte Segmente beleben, die vorher gegen Karstadt keine Chance hatten“. So zuversichtlich sind sie jetzt schon in Idar-Oberstein.