Geile Zeiten

Noch mehr Generationenfilme gefällig? Marco Petrys „Die Klasse von ’99“ und Detlef Bothes „Feiertag“ erzählen vom Jungsein in der Provinz

von MANFRED HERMES

Die BRD hat sich gern als das Land ohne Klassen imaginiert. Die Reform der gymnasialen Oberstufe hat entsprechende Divergenzen auch an den Schulen beseitigt. Seitdem heißen Klassen: Stufen. Allerdings bilden auch Stufen Unterschiede, und in einer Kulturproduktion, die generationelle Grenzen liebt, ergibt „Jahrgangsstufe“ die perfekte Feineinteilung. Irgendwann ist es aber auch mit der Schule vorbei, dann verlieren sich die dicken Freunde aus den Augen, sterben, verblöden oder werden sich fremd. In diesen graublauen Zwischenbereich stellt Marco Petry seine Kleinstadtgeschichte „Die Klasse von ’99“.

Seit 99 sind nun drei Jahre vergangen. Felix hat ein Studium abgebrochen und ist in die kleine Stadt zurückgekehrt, um – was auch sonst? – Polizist zu werden. Freund Sören fühlt sich als Immobilienagent unterfordert und will mit Ecstasy-Schmuggeleien an das große Geld. Auch der Rest der alten Gruppe zieht ein langes Gesicht, obwohl man einiges tut, um den Schein der „geilen Zeit“ zu wahren. Die Luft aus den alten Verhältnissen ist raus, neue sind nicht in Sicht. Nun steht ein Klassentreffen an, noch so ein Horror, wo alte Statusfragen neu verhandelt werden und gnadenlose Rückblicke anstehen.

„’99“ ist ein stilsicherer Film, der den Weltschmerz atmosphärisch stimmig inszeniert. Ist aber schon die Nostalgie mit Einschließungsmilieus eigenartig – nicht alles, was nach der Schule kommt, ist ja schlechter –, so ist das unambitionierte Jugendtum, das hier aufgeführt wird, geradezu beklemmend. Der kleinstädtische Mittelstand bringt in Deutschland traditionell den wachesten Nachwuchs hervor, schließlich hat man ja genug zu kompensieren. „’99“ gibt sich dagegen betont bescheiden, Kleinstadt ist hier der Sumpf einer eng abgesteckten Jugendlichkeit im ständigen Rückblick. Keine Lust mehr auf das Abhängen an der Bushaltestelle? Alle Träume bereits mit 22 zerplatzt? Dann hat man schon zwei Gründe für einen verfrühten Blues. Schwermütiger junger Mann – das ist das Rollenfach, das Matthias Schweighöfer ohne großen Aufwand gestaltet. Tim Sander zeigt, dass man auch zu Existenzialismen schöne Münder wie in der Vorabendserie machen kann, während der Axel Stein hier die eigentliche Gemme ist.

Auch in „Feiertag“ spielen generationelle Gemeinsamkeiten die entscheidende Rolle, aber Detlev Bothe ist bereits in der Gegenwart und ihren Berufen angekommen: Fotograf, Musikproduzent, Fotomodell. Drei Paare fahren im Auto ins verschneite Tirol, um auf einer Hütte Silvester zu feiern. Das Thematisieren von Drogenkonsum hat in dieser Gruppe ein gewisses Ansehen, daher ist man schon auf der Anfahrt einigermaßen beschäftigt. Schön ist, wie entspannt hier mit ethnischer Diversität umgegangen wird, etwa in Form einer „Raggaewoman“ Zoe und ihrem breiten fränkischen Akzent.

Den kleinen Friktionen innerhalb dieser Gruppe wird aber auch ein Außen entgegengesetzt. Im Dorf herrscht nicht bei allen Festtagsstimmung. Dem in die Jahre gekommenen Sam hat die Schwester gerade eröffnet, dass sie den elterlichen Hof verkaufen will, den er noch bewohnt. Anstatt sich, wie es schon geplant war, die Kugel zu geben, trottet er in die Dorfdisco. Dort trifft er eine junge Frau mit Großstadtattitüde, die ebenfalls Hilfe braucht, weil sie ihr Geld verloren hat.

Sam: „Ich mag französische Filme.“ Dass damit Pornos gemeint sind, findet sie nicht so lustig und läuft ihm davon. Eine Aura von Zügellosigkeit und sexueller Gefährlichkeit ist nun aber etabliert, und dann klopft tatsächlich noch der Tod an die Tür. Hier nur so viel: In „Feiertag“ gibt es ein Begehren, von der reinen Selbstdarstellung jugendlicher Gefühlssphären abzurücken, denn ein „Texas Chainsaw Massaker“ wartet hier begierig auf den Ausbruch. Langwierige Qualen gibt es allerdings nicht. Der Film, fast geldlos und laut Regisseur „im Dogma-Stil“ gedreht, endet im Übrigen mit einem Ja zum Leben.

„Die Klasse von ’99“, Regie: Marco Petry. Mit Matthias Schweighöfer, Anna Bertheau u. a. Deutschland 2003, 93 Min.„Feiertag“. Regie: Detlef Bothe. Mit Dietmar Mössmer, Detlef Bothe u. a. Österreich 2003, 83 Min.