Im Treppenhaus klingt der Riesenbrumsel

Anstatt sich auf langwierige Absprachen mit dem Bezirk einzulassen, hat die Erika-Mann-Grundschule zusammen mit Architekturstudenten ihre Räume in Eigenregie saniert. Das Ergebnis ist sehenswert: Ehemals nüchterne Schulflure erzählen plötzlich Geschichten – zum Beispiel die des Silberdrachen

von ULRIKE STEGLICH

Sein Schlafplätzchen hat der Silberdrache am Flurende des Erdgeschosses der Erika-Mann-Grundschule gefunden. Die Wände strahlen in kühlen Tönen, violettes Licht beleuchtet die Grünpflanzen. Der Silberdrache ist natürlich ein Fabelwesen. Eines, das jetzt in die Schulflure gezogen ist und nun öffentlich vorgestellt wird: Die „Silberdrachenwelten“ in der Weddinger Erika-Mann-Grundschule werden heute feierlich eingeweiht. Auch Schulsenator Klaus Böger wird dort sein, Bezirksbürgermeister Joachim Zeller und die Berliner Philharmoniker. Normalerweise würde sich die Politprominenz wohl kaum zum Abschluss einer profanen Sanierung von Schulfluren und Treppenhaus blicken lassen. Aber in der Erika-Mann-Schule wurde mehr als bloß saniert: Der Umbau ist ein Modellvorhaben in vielerlei Hinsicht.

Die Erika-Mann-Grundschule ist ein Ludwig-Hoffmann-Bau von 1915, dessen lange Flure – den damaligen pädagogischen Konzepten entsprechend – autoritäre Strenge ausstrahlen. Doch das ist längst nicht mehr zeitgemäß. Nicht erst seit Pisa ist differenzierter, individueller Unterricht in kleineren Gruppen gefragt. „Es ging darum, die Räumlichkeiten der Pädagogik des 21. Jahrhunderts anzupassen“, sagt Rektorin Karin Babbe. Aus den strengen Fluren sollten wirkliche Aufenthaltsräume entwickelt werden, in denen Kinder lernen, lesen, spielen oder sich auch mal zurückziehen können. Eine weitere praktische Anforderung: Die Garderoben der Kinder in den Fluren sollten besser vor Diebstahl geschützt werden.

Zudem wollen Rektorin, Kollegium und Förderverein die Schule in der Utrechter Straße zu mehr als nur einem Ort des Lernens machen, nämlich zu „einem Stück Heimat im Kiez“ – in einem Kiez, der als sozialer Brennpunkt gilt: Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie kaum anderswo in Berlin, die 400 Kinder der Schule kommen aus 23 Nationen, 85 Prozent der Eltern sind nicht deutschsprachiger Herkunft.

Schon jetzt hat die Schule mit ihrem Engagement einen guten Ruf: Sie ist eine verlässliche Halbtagsschule mit theaterbetonter Ausrichtung, geöffnet bis 14.30 Uhr, mit einem besonderen Bildungsangebot – von Müttersprachkursen bis zur musikalischen Früherziehung für Kitas –, das bis auf 18 Uhr ausgeweitet werden soll.

Für die vielfältigen Angebote aber braucht man Platz. Doch auf herkömmlichem Weg wäre eine kreative Lösung kaum zu haben gewesen: Denn für die kommunalen Schulen ist der Bezirk zuständig. Wenn Sanierungen anstehen, beauftragt der Bezirk seine Bauleiter damit, und das logischerweise in den Ferien. Dann sind die Schüler nicht da, aber auch nicht die Schulleiter. Die Bauleiter wiederum sind natürlich für Pädagogik und Kreativität nicht zuständig, sondern für neue Toiletten oder Fußbodenbeläge.

Rektorin Babbe fand einen anderen Weg: Sie gewann das Quartiersmanagement (QM) Pankstraße für ihre Idee und eine freie Architektin, Susanne Hofmann. Die wiederum wollte Architekturstudenten die Möglichkeit einer praxisbezogenen Ausbildung am konkreten Bauvorhaben geben. So entstand 2002 an der TU Berlin die Studentengruppe „Baupiloten“. Die Bauherrenschaft wurde vom Bezirk auf den schulischen Förderverein übertragen, der beauftragte die Architektin mit dem Umbau. Am Planungs- und Entscheidungsprozess waren die Schüler beteiligt: Sie erarbeiteten eine Wunschliste, fertigten in Workshops mit den Baupiloten Collagen, aus denen schließlich die Geschichte vom Silberdrachen entwickelt wurde, der durch das Schulgebäude streift. Das Schülerparlament wählte aus mehreren Präsentationen der Architekturstudenten seine Favoriten. Daraus entwickelten die Baupiloten ein realisierbares Konzept der Umgestaltung und übernahmen bei der Umsetzung die Bauleiterverantwortung.

Von dieser Form der Demokratie scheinen alle zu profitieren: Architektin Hofmann ist noch heute begeistert, „wie deutlich und klar die Kinder ihre Wünsche, Ideen und Kritiken ausdrücken“. Rektorin Babbe wiederum erzählt: „Die Kinder und das Kollegium fanden es faszinierend, zu verfolgen, wie aus einer Idee Materie wird.“

Die Räume, die nun zu besichtigen sind, sind so faszinierend wie überzeugend. Das architektonische Konzept sollte sozialen wie ästhetischen Ansprüchen gerecht werden – und die Sinne ansprechen. „Die Kinder sollen anfangen können zu träumen“, so Hofmann. Der Silberdrache ist für Hofmann ein Symbol für den Geist der Schule, für Beweglichkeit. Dem strengen Schulgebäude sollte mit den Elementen Licht, Luft und Klang Leichtigkeit verliehen werden. Gleichzeitig waren praktische Nutzungsaspekte zu berücksichtigen und nicht zuletzt die strengen Brandschutz- und Sicherheitsbestimmungen für Schulflure.

Gearbeitet wurde mit einem abgestuften Farbkonzept, mit unterschiedlichen Materialien und Möbelkonstruktionen. Und: mit poetischen Namen. Das Erdgeschoss, der Schlafplatz des Drachen, heißt „Sternenstaubtauchen“. Hier beginnt auch die Schulgalerie, in der die Kinder sich und ihre Arbeiten präsentieren. Je weiter es nach oben geht, desto wärmer und intensiver werden die Farben. So sind die Wände im ersten Obergeschoss („Hauchsanftsein“) in zartem Rosa gehalten, halbtransparente Stoffbahnen wehen im leichten Luftzug von der Decke und spielen mit dem Licht. Das zweite Obergeschoss („Thron für den Augenblick eines Flügelschlags“) leuchtet in kräftigem Pink, im dritten Obergeschoss schließlich („Mit dem Drachen fliegen“) prägen geschwungene Sitzelemente am Boden und ebenso geschwungene, mit Stoff bespannte und beleuchtete Metallkonstruktionen an der Decke den Raum.

Für jede Etage wurden spezielle ausklappbare Möbel entworfen und angefertigt, an denen man sitzen und arbeiten kann. Auch die Garderoben sind jeweils unterschiedlich gestaltet. Die Möblierung findet Babbe schlichtweg „genial“, und tatsächlich könnte man sich gut vorstellen, dass Nachfrage auch an anderen Schulen bestünde. Der Clou jedoch ist das Treppenhaus, das mittels einer eingebauten harfenähnlichen Klangkonstruktion zum „Riesenbrumsel“ wird, oder, pädagogisch gesagt: zum musikalischen Lehrpfad, wobei die Töne im Erdgeschoss tief sind und nach oben hin immer heller werden.

Die Bürgerjury des QM-Gebietes war von dem Konzept so überzeugt, dass sie aus ihrem Fonds 128.000 Euro für das Projekt bewilligte. Damit wäre der Umbau normalerweise nicht zu finanzieren gewesen – allein die Einbauten im dritten Geschoss hätten „so viel wie ein Kleinwagen gekostet“, so Babbe. Dennoch kam die Schule mit dem Geld aus. Ein guter Teil der Kosten wurde durch Eigenleistungen und über beispielhafte kostensparende Partnerschaften gedeckt: So wurden viele Einbauten in den Polster- und Metallwerkstätten der JVA Tegel angefertigt, man kooperierte außerdem mit Ausbildungs- und Behindertenwerkstätten, und auch Schüler und Eltern beteiligten sich. Und wer am Freitag vor der Eröffnung die Schule besuchte, konnte ein auffallend gut gelauntes Lehrerkollegium beim Werkeln beobachten.