nebensachen aus Kosice
: Roma zum Anstarren oder Auf Elendssafari in der Ostslowakei

„Nicht füttern! Nicht anfassen!“ Im neuen Europa ist es neuerdings möglich, auf Safari zu gehen. Ein Reiseveranstalter aus dem polnischen Zakopane hatte eine clevere Idee. Er bietet Tagestouren in die Ostslowakei an: über die Hohe Tatra, vorbei an pittoresken Städtchen und imposanten Burgen direkt hinein ins Elend. Die Route führt auch vorbei an verfallenen Roma-Siedlungen, die über die gesamte Gegend verstreut liegen.

Aussteigen tut dort allerdings keiner. Von der Sicherheit und Bequemlichkeit ihres Busses aus staunen die Touris auf das unwirkliche Panorama wirr zusammengeschusterter Hütten und knipsen halbnackte Kinder, die auf die Busse zulaufen. Wie bei einer wirklichen Safari gilt auch hier: Nicht füttern! Nicht anfassen! Besonders beliebt sind die „Zigeunersafaris“ bei Engländern, die in Zakopane urlauben. Nach dem Motto „a cheap holiday in other people’s misery“.

Ist ja auch kein Wunder. Früher musste man weiß Gott wohin reisen, um mal so einen richtigen Slum aus der Nähe zu sehen. Aber dank der EU-Erweiterung haben wir jetzt die Dritte Welt mitten in unserem gemeinsamen europäischen Haus.

Ob die Reiseleiter auch etwas über das Leben der Roma in den „osady“, den Siedlungen, erzählen? Zum Beispiel, dass in der Slowakei rund 150.000 Menschen in solchen Hütten ohne Strom und fließendes Wasser hausen? Dass sie ihr ganzes Leben dort verbringen? Dass die Kindersterblichkeit hoch ist? Im Süden der Ostslowakei lag sie 2003 bei 26 pro tausend Neugeborener. Kleinkinder sterben dort nicht nur an den Folgen von Unterernährung, sondern auch an Krankheiten, die sich bei uns problemlos behandeln lassen, wie zum Beispiel Mittelohrentzündung.

Oft bauen die Roma auf brachem Industrieland, dessen Böden verseucht zurückgelassen wurden. Eine Siedlung mit rund 500 Menschen steht direkt auf einer ehemaligen Eisenerzmine. Längst hat das Grundwasser dort die Stollen überflutet, es besteht die Gefahr, dass das ganze Gebiet eines Tages einfach einsackt. Doch was bedeuten eine verschmutzte Umwelt oder die Möglichkeit eines künftigen Erdrutsches für jemanden, der Tag für Tag mit Armut zu kämpfen hat?

Die meisten, wenn nicht sogar alle Roma sind für ihren Lebensunterhalt abhängig von Wucherern. Die verleihen Geld schnell und ohne lange zu fragen, fordern dafür aber Zinsen von sechzig bis zweihundert Prozent.

Jetzt wäre zu erwarten, dass der Wucherer in der Roma-Gesellschaft eine gefürchtete oder verhasste Person darstellt. Im Gegenteil: Oft ist er die einzige Autoritätsperson, die in den jeweiligen Kommunen akzeptiert wird. In einem Ort zwischen Kosice und der ukrainischen Grenze sitzt der lokale Wucherer sogar als Vorzeige-Roma im Stadtrat.

Die Kultur der Armut hat sich in die Roma-Kultur eingeschlichen. Einen Ausweg sehen sie nicht. „Ich kann an meinem Leben nichts mehr ändern, vielleicht schaffen das ja meine Kinder“, sagte kürzlich ein slowakischer Roma überzeugt. Er war 21 Jahre alt. Dabei könnten sie ja ausnutzen, zur Touristenattraktion geworden zu sein, eine Art Anstarr-Taxe verlangen oder Gebühren fürs Fotografiertwerden. Oder man könnte einen Teil der Ostslowakei zu einem „Zigeunerreservat“ machen: Roma-Park.

ULRIKE BRAUN