Beim roten Ken scheiden sich die Geister

Eigentlich müssen Politiker bei den Globalisierungsgegnern draußen bleiben: Aber Londons linker Bürgermeister Ken Livingstone prägte das Europäische Sozialforum – auch weil seine Stadtverwaltung einen Großteil der Kosten trug

LONDON taz ■ Ist er nun ein großzügiger Gastgeber oder ein machtbewusster Selbstdarsteller? Über Ken Livingstones Rolle beim Europäischen Sozialforum (ESF) scheiden sich die Geister. Der Bürgermeister von London scheint allgegenwärtig: Er selbst ist Schirmherr und seine Stadtverwaltung die wichtigste Unterstützerin des ESF. Auf dem Eröffnungsempfang, zu dem Livingstone eingeladen hatte, sprach er selbst neben Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und der Tochter von Che Guevara, Aleida. Auch einen Platz auf den begehrten Podiumsdiskussionen hat er sich gesichert: Dort darf Livingstone über seine Anti-Rassismus-Initiative referieren.

Dabei gilt bei Sozialforen eigentlich eine strikte Regel: Politiker müssen draußen bleiben. Doch für Livingstone wurde eine Ausnahme gemacht. Der ehemalige Trotzkist, der immer noch als „roter Ken“ bezeichnet wird, hat in seiner über vierjährigen Amtszeit nämlich einige Pluspunkte bei den Globalisierungskritikern gesammelt: Er führte die Staugebühr in Londons Innenstadt ein und verbilligte dafür die öffentlichen Verkehrsmittel, kämpfte gegen die Privatisierung der U-Bahn und setzte sich lautstark gegen den Irakkrieg ein.

Als George W. Bush, den er zuvor als „größte Gefahr für das Leben auf unserem Planeten“ bezeichnet hatte, zum Staatsbesuch bei der Königin weilte, lud der Bürgermeister zum Empfang der Kriegsgegner ins Rathaus. Zwar kehrte er nach langer Verbannung Ende 2003 wieder in die Labour-Partei zurück, doch auch dort bleibt er seiner Rolle als Rebell und Gegenmodell zu Premierminister Tony Blair treu. Kein Wunder also, dass Livingstone in der Bewegung Kredit genießt.

Im Vorfeld des ESF wurde jedoch Kritik an seiner Rolle im Planungsprozess laut. Emma Dowling, die für Attac Großbritannien in der Vorbereitungsgruppe saß, berichtet von schweren atmosphärischen Störungen: „Livingstone hat über seine Vertrauten den Vorbereitungsprozess massiv beeinflusst und versucht, seine eigenen Themen in den Vordergrund zu stellen.“ Der ESF-Grundsatz des offenen und demokratischen Prozesses sei durch das Übergewicht von Livingstone-Anhängern stark beeinträchtigt gewesen.

Ein anderer Grund für Livingstones Akzeptanz mag daher sein, dass man finanziell einfach nicht auf ihn verzichten konnte. Mit 400.000 Pfund zahlt die Stadtverwaltung den größten Teil der Kosten des ESF, 20.000 Teilnehmer werden umsonst mit Fahrkarten ausgestattet. Für Sven Giegold von Attac Deutschland ist die Sache klar: „Man braucht einfach öffentliche Zuwendungen für solch große Veranstaltungen, sonst kann sich kaum jemand die Teilnahme leisten.“ Er verweist auf den Großsponsor des Vorjahres: Das ESF 2003 in Paris wurde maßgeblich von Jacques Chirac finanziert. NIKOLAI FICHTNER