ausgehen und rumstehen
: Freizeit ohne Glauben: Badeschaum und Begriffedampf

Ab Freitag die Freizeit zu gestalten: Da hängt viel davon ab, wie es um den Freizeitglauben bestellt ist. Denn wenn sie einmal verfestigt sind, die persönlichen Orthodoxien, dann heißt es aussortieren, Ideen verwerfen, ausschließen. Befreit von jedem Freizeitglauben trug uns dieses Wochenende in die entlegensten Regionen des Amüsements. Es braute sich zusammen aus Badeschaum, Lyriklesung und den Löwen und Mäuschen des Dr. Faust.

Am Freitag Fruchtgetränke, Honeysuckles und Neue Dokumente in der Schönhauser. Zwei produzierten Summgeräusche mit Schallplatten und es war besonders dunkel. Doch da wollten wir gar nicht hin.

In der Volksbühne hüpften fünf, sechs durch den Badeschaum in einer Holzkiste. Die Seifenblasenmasse sah aus wie mundgeblasen. Punkstars spielten dazu Sascha Hehn und setzten sich Stewart-Mützchen auf. Auch da wollten wir nicht hin.

Wir wollten zum Samstag, um das zu machen, was wir nie machen, auch wenn wir nicht gerade häufig öffentlich in Schaum baden.

In Wörtern stochern, sie aus der Luft greifen, das wollten wir, dafür wurden wir gebucht. Wenn eine Sachen schreibt wie „aus chausseebäumen hast du gäste gemacht / die in großer garderobe auf pyjamapartys gehn“, wenn sie das über den langen Winter schreibt, dann möchte man sie hören. Dann möchte man Monika Rinck lesen hören.

Die Galerie Neurotitan gleich neben den Hackeschen Höfen hatte sich dafür in die modernsten Farben geworfen, zufällig eigentlich, die Grafiker stellen gemeinhin auch ohne literarische Begleitung aus. Doch es passte und war ein guter Ort. Viele kamen, die Räume waren dennoch weit genug, damit die Worte fliegen konnten.

Monika Rinck las. Etwas Neues trug sie vor und dann Texte aus „Verzückte Distanzen“ (Zu Klampen Verlag, Springe 2004, 48 S., 17 Euro), eben erschienen. Ein Gedicht hieß „nicht haben: substanzen (this is for paddy)“. Das Generationen- oder besser Peergroup-Gedicht „green faces: sind wir denn so etwas im raum“ passte ganz besonders gut ins weite Neurotitan. Im Text ein „wir“, auch als „kosmischer pöbel“ apostrophiert, ein Ende mit Aussicht auf Besserung. Von Affektion und Unschärfe ist die Rede. Die Begriffe schmoren, wenn sie von Monika Rinck behandelt werden. Sie schwitzen, auch andere Substanzen treten aus. Und dann vermischen sie sich und füllen schließlich als Dampf den Raum.

Auch vor Monika Rincks Lesung wurde schon viel gesprochen und gelesen, an Ständen wurde in gelb-schwarzen Büchlein geblättert. Die sind von SuKutur, SuKutur gehört zu satt.org. und satt.org steht im Netz und macht Kultur. Zur Kultur gehört Lyrik, und so gibt’s dort den Lyrik.Log. Der hatte geladen, einige Beitragschreiber kamen und lasen. Volker Braun, Elke Erb, Bert Papenfuß, Crauss, Ulf Stolterfoht, Ron Winkler. Viele hörten nur kurz zu und gingen dann noch woanders hin.

Zum Beispiel zu Michael Thalheimer, der am Deutschen Theater den „Faust“ feierte. Hier wurde der Delfin, das Mäuschen und der Löwe getanzt und Stiefel hackten zu den Fine Young Cannibals und zu finnischen Bands aus der ebay-Werbung. Der Schlussnebel war mindestens so dicht wie Badeschaum oder der Begriffedampf der Monika Rinck, nur heller. Auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters war ein „Verweile doch“ zu lesen, Leuchtschrift auf Querbalken gezimmert. Verweile doch? Wir freuten uns auf den nächsten Freitag, das Ostgut ist wieder da und es gilt, den Glauben wiederzufinden.

CHRISTOPH BRAUN