auf der franse der engel der hölle von EUGEN EGNER
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Mein Neffe lud mich vor ein paar Monaten ein, die Geburt seines Kindes mit ihm zu feiern. Er bekam ein Kind, und ich sollte dabei sein! Das war das Wildeste! Das konnte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen. Auch wenn das Geld alle war, kaufte ich mir eine teure Fahrkarte. „Neonreise versieht voll“, stand ganz groß über dem Schalter. Weil ich zusätzlich zur Reise nicht auch noch Schläge bekommen wollte, fragte ich vorsichtshalber nicht, was das bedeuten sollte.

Als ich in Klemmestadt ankam, war die Geburt schon vorbei, auch hatte, wie ich schnell herausbekam, nicht mein Neffe persönlich das Kind zur Welt gebracht, sondern eine Frau, die er vorher geheiratet hatte. „Du bist verheiratet?“, fragte ich ihn schockiert. Mein Neffe ist aus Hessen, daher fiel seine Antwort so aus, wie diese Leute reden: „Ja, das Junggesellenleben verklitt nicht mein Bedürfnis genug.“ – „Und wie ist das so, verheiratet zu sein?“, erkundigte ich mich aufrichtig interessiert. Wenn ich schon einmal jemandem begegnete, der verheiratet war, wollte ich auch möglichst viel darüber erfahren. Er ruderte mit den Armen und keuchte: „Es ist auf der Franse der Hölle!“ – „Auf der Franse der Engel“, korrigierte ich ihn. Er aber beharrte auf „Franse der Hölle“. Schließlich einigten wir uns auf den Kompromiss: „Auf der Franse der Engel der Hölle.“ So ließ sich leben, und wir lachten eine Viertelstunde lang.

Seine Frau wollte mein Neffe mir aber lieber nicht vorstellen, da sie, wie er sagte, sehr gefährlich sei, und er meine Unversehrtheit nicht aufs Spiel setzen wollte. Sie habe „ein Aussehen auf dem stämmigen Erscheinen“, warnte er mich. Ich aber wollte mich wenigstens theoretisch weiterbilden. Daher stellte ich ihm Fragen zu diesem Thema. „Was macht ihr denn so in eurer Ehe? Ich meine, wie kommt ihr miteinander aus? Ihr seid doch völlig verschiedene Menschen!“ Mein Neffe schob die Frisur zuerst in die Stirn, dann in den Nacken. Da ließ er sie und stieß einen Fluch aus: „Heribert von Karajan!“ Die Frage setzte ihm zu, kein Zweifel.

Schließlich antwortete er aber doch, sich weiter unten kratzend: „Manchmal gibt es Unstimmigkeit. Wir sind schon oft mit den werfenden Fäusten aneinander gerollt.“ – „Gerollt?“, fragte ich ungläubig. Mit einer wegwerfenden Kopfbewegung gab er Auskunft: „Ach, wir rollen herum auf dem Fußboden und geisteskrank im Allgemeinen.“ Der hessische Sprachduktus machte die Verständigung immer schwerer, aber ich begriff viel von der rauen Grausamkeit des Ehelebens.

Wenn das nun so war – was gab es dann für mich an diesem Ort überhaupt zu feiern? Es verklitt nicht meine Erwartung genug, wie die Hessen sagen. Da wurde ich auf Rauchzeichen am Himmel aufmerksam. Meine Arbeitskollegen daheim hatten die Hängeregistratur angezündet, und aus dem aufsteigenden Qualm las ich, dass ich zurückkommen sollte. Grund: Die Geschäftsleitung verlangte von uns, wir sollten die Elektronik entwickeln.

Das war viel verlangt! Wir schafften es zwar jederzeit, sämtliches Kantinenporzellan über das Geländer der neunten Etage ins Treppenhaus zu werfen, doch die Elektronik entwickeln konnten wir nicht. Mein Neffe rief noch: „Onkel, bleib da“, aber von ihm war ich so enttäuscht, dass ich lieber in mein Unglück fuhr.