Wer ist bloß das Opfer?

Viele wittern eine Intrige in der CDU gegen Angela Merkel. Leider fehlen die Beweise. Und fähige Intriganten. Aber den Merkel-Sturz will ja auch niemand. Der Gegner heißt: Sachfragen-Diskussion

VON CHRISTIAN SEMLER

Ein Gespenst geht um in der CDU, das Gespenst der Intrige. Entdeckt hat es der Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus, als Zweiter sah es der CDU-Chef Meck-Pomms, Eckhardt Rehberg. Opfer der Intrige soll nach Meinung der beiden ostdeutschen Geisterseher Angela Merkel sein, die Vorsitzende der Christdemokraten.

So ganz sicher über das, was sie als eisiger Gespenster-Lufthauch berührte, sind sich die beiden Ostdeutschen allerdings nicht. Klar hingegen ist für sie erstens das Motiv der Intrige: eine Ossi-Frau (geschieden, kinderlos, protestantisch, kommunikationsgehemmt, weil ohne Verwurzelung im westdeutschen Honoratioren-Milieu, kalt) kann keine Kanzlerkandidatin der CDU werden. Und klar ist für sie zweitens der Modus Operandi der Intrige: Unterschiedliche Meinungen in Sachfragen würden so zugespitzt, dass es schließlich um die eine Personalfrage ginge.

Fast alle christdemokratischen Granden sind jetzt empört. Insbesondere die Landesfürsten Wulff, Koch, Müller und Rüttgers, eine bei aller Verschiedenheit durch gemeinsame politische Sozialisation und die Abneigung gegen Merkel vereinigte Viererbande, fordern Beweise für die Existenz des Anti-Merkel-Komplotts. Solche Beweise sind nur beibringbar, wenn einer der vermuteten Intriganten abspringt. Da kein Verräter sich zeigt, bleiben nur Indizien.

Was Althaus und Rehberg an Verdachtsmomenten aufführten, trifft zwar mit Sicherheit die Mentalität vieler westdeutscher CDU-Politiker, aber der Verdacht einer Intrige lässt sich daraus beim bestem Willen nicht destillieren. Zur Intrige gehört erstens der Plan der Urheber und zweitens das Opfer, das mittels der Intrige zu einer Handlung mit schrecklichen Folgen für es selbst verleitet werden soll. Neben diesen beiden Dramatis Personae treten stets noch der Vollstrecker der Intrige und deren Nutznießer auf (beide nicht notwendig identisch mit dem oder den Intrigen-Urhebern). Am ehesten träfe diese Konstellation noch auf den Vorstoß des CSU-Manns Glos in Sachen Unterschriften-Aktion gegen den türkischen EU-Beitritt zu. Danach hätte Glos Angela Merkel zur Unterstützung der Kampagne verleitet, wohl wissend, dass deren Ja einen Sturm der Empörung auch innerhalb der CDU auslösen würde. Sodass die Vorsitzende zu einem image-schädigenden Rückzieher gezwungen wäre. Nutznießer der Intrige wäre die CDU-Viererbande, die ihre Hände in Unschuld wäscht. An sich eine bestechende Idee, denn Angela Merkel versuchte seit geraumer Zeit, mit der „Anti-Türkei“-Attitüde Land unter den CDU-Konservativen zu gewinnen. Aber viel zu kompliziert und mit zu vielen Unbekannten behaftet.

Der Intrigen-Vorwurf fällt in der Öffentlichkeit deshalb auf so fruchtbaren Boden, weil er die Vorstellung eines politischen Raums voraussetzt, wo in geschlossenen Machtzirkeln um Positionen gefightet wird, wo eine ins Ohr des Mächtigen geflüsterte Vermutung fatale Folgen zeitigt, wo der Weg nach oben über Komplotte und eben – über Intrigen geht. So stellen wir uns die Welt der politischen Eliten vor, von dem großen Transmissionsriemen Macht (und Geld) angetrieben. Diese Welt existiert, zweifellos, und die Geschichte der Bundesrepublik in Krisenzeiten liefert hierzu reiches Anschauungsmaterial. Aber so machtversessen und intrigenbereit die Politiker auch sein mögen, sie figurieren doch in erster Linie als (oft subalterne) Vollzugsbeamte organisierter Interessen. Ihr Handeln ist in der Regel voraussehbar. Sie genießen mehr die äußeren Attribute der Macht, als dass sie Macht ausüben. Zu Intrigen wie dem Sturz eines Kanzlers, einer Parteivorsitzenden bedarf es einer geradezu shakespearehaften Intriganten-Größe, eines Formats, dem nur wenige genügten, der verewigte Herbert Wehner beispielsweise.

Aber läuft die Intrige vielleicht umgekehrt und haben Althaus und Rehberg im Verein mit Angela Merkel das Gespenst der Intrige nur heraufbeschworen, um von den gravierenden „real existierenden“ Streitfragen innerhalb der CDU und zwischen CDU und CSU abzulenken, einen Mitleidseffekt heraufzubeschwören und – nebenbei – noch etwas Stimmung zu machen gegen die westdeutsche politische Klasse? Mag sein, nur dass das keine Intrige wäre, sondern das vertraute Spiel auf der Klaviatur der Emotionen. Das allerdings kann die CDU dringend gebrauchen. Denn wenn dieser Partei eins fehlt, dann die Bereitschaft, eine rationale Debatte über kontroverse Positionen zu führen und durchzustehen. Dann lieber doch Loyalität mit zusammengebissenen Zähnen.