Fass mich an!

Robbie Williams ist gerade mal 30 Jahre alt. In „Feel Robbie Williams“ erzählt er jetzt schon sein Leben – sein größtes Kunstwerk?

VON MARCO STAHLHUT

Angeblich ist Robbie Williams’ Megahit „Angels“ das meistgespielte Lied Großbritanniens bei zwei Anlässen: Beerdigungen – und Hochzeiten. Superstartum ist: Weißt du noch, wen wir letzten Sommer gehört haben? Und vorletzten? Und vorvorletzten? Wer es geschafft hat, zur Begleitmusik des gesellschaftlichen Umgangs mit Liebe und Tod zu werden, hat mehr als Superstartum erreicht: Er hat sich wirklich und wahrhaftig ins kollektive Unbewusste eingespeist.

Robbie Williams ist ein Erfolgs- und ein Kultphänomen. Das ist selten in einem Metier, in dem Kult meist ein Tribut an die lange Zeit ist, über die es jemand geschafft hat, oben zu bleiben. So wurde Madonna zu einer kulturellen Ikone für das Talent, über zwanzig Jahre hinweg im Quartalsabstand Frisur und Styling verändern zu können. Robbie Williams steht aber erst seit 1997 ernsthaft als Solokünstler auf der Bühne. Natürlich könnten einem andere Namen einfallen, die ebenso kultisch verehrt werden, wie sie sich erfolgreich verkauft haben: David Bowie etwa, Bob Dylan oder Frank Zappa. Aber Robbie Williams ist auch kein Singer-Songwriter, und musikalisch trennen ihn Welten von solchen Größen – wie man sich jetzt noch einmal beim Hören seiner „Greatest Hits“-CD vergewissern kann, die zeitgleich mit dem biografischen Buch „Feel Robbie Williams“ erscheint.

Das gewisse Mehr-oder-weniger

Viele der Singles – „Rock DJ“, „Eternity“ – sind „sterile internationale Reißbrettware“, so Mr. Williams himself. Und selbst seine gelungensten Hits – „Angels“, das Duett „Doing with the Kids“ mit Kylie Minogue – könnte man sich eigentlich kaum mehr als zweimal hintereinander anhören – würden sie nicht von ihm, von RW Robbie Williams, performt. Denn Robbie Williams ist tatsächlich ein hervorragender Entertainer. Sein eigentliches Kunstwerk allerdings ist seine Biografie respektive der Fakt, sie überlebt zu haben.

Grob kennen wir die Stationen seines Lebens: Mit Take That war er Mitglied der bedeutendsten Boygroup überhaupt. Er war nicht das musikalisch talentierteste Mitglied – das war Gary Barlow. Und er war nicht das hübscheste Mitglied – das war Mark Owen. Aber er war das Mitglied mit dem größten Appeal. Er hatte das gewisse Mehr-oder-weniger. Nach seinem Rauswurf aus Take That hieß es dann: Die Schule ist aus, hoch die Tassen! Vorher schon mit einem leichten Alkohol- und Drogenproblem ausgestattet, folgte Robbie Williams die nächsten Jahre einer rigorosen Diät aus Kokain, Wodka und Zigaretten. Wer wissen will, wie Williams trotz seiner weitgehend unambitionierten Mainstreammusik zum Star mit Glaubwürdigkeit wurde, wird hier fündig.

In den letzten Wochen von Take That war Williams einen Tag beim Glastonbury Musikfestival. Er hatte einen schwarz angemalten Zahn, wankte drogenumnebelt in der Gegend herum und stand für ein paar kurze Momente mit Oasis, dem großen Ding der Zeit, auf der Bühne. „Das war der Tag, an dem du einer von uns wurdest“, sagten Journalisten des britischen Szenemagazins New Musical Express später zu ihm. Oasis-Kopf Noel Gallagher selbst war nach einer kurzen Phase der Freundschaft weniger amüsiert und bezeichnete Williams fürderhin als „den dicken Tänzer von Take That“.

Der ausschweifende Popstar

Normalerweise stehen ausschweifender Sex, Alkohol- und Drogenkonsum für das Rockstarmodell. Williams dagegen verbindet das Popstarmodell mit einem gebrochenen, aber gerade darin überzeugenden Authentizitätsgestus. Wenn man „Better Man“ – leider nicht auf den Greatest Hits – hört, schwingt Williams Geschichte von Depression und Drogenmissbrauch mit. Genauso wie die Take-That-Zeit und die Abrechnung mit ihr in „No Regrets“. Die frühen Dramen sind ein Faktor, Robbie Williams berühmte Selbstironie ist der andere. Bei Auftritten im Jahr 2001 pflegte er das sacharinsüße „Eternity“ so anzumoderieren: „Ich singe jetzt meine neue Single. Sie heißt ‚Eternity‘. Wer pinkeln gehen möchte, sollte es jetzt tun.“

Williams singt Songs, die er zu Recht nicht mag, weil er selbst, sein Management und seine Plattenfirma meinen, davon viele Platten verkaufen zu können. Aber er sagt auch, dass er sie nicht mag. Und das, während die Single gerade die Charts stürmt, nicht drei Jahre später, nach einem Managementwechsel. Das führt zu einer Authentizität zweiter Ordnung: Der Kaiser ist nackt, und er sagt, dass er nackt ist. Das ist lustig, auch wenn der Witz die offensichtliche Grenze hat, dass es besser wäre, einfach etwas anzuziehen: schlechte Songs erst gar nicht zu singen. Im Buch gibt es eine amüsante Szene von einer Auftrittsprobe, bei der Robbie Williams Professor Griff von Public Enemy kennen lernt, eine HipHop-Combo, die er seit Jugendzeiten verehrt. Als „Rock DJ“ an die Reihe kommt, bricht Williams die Probe ab: Es ist ihm einfach zu peinlich, seine Rapversuche in Gegenwart eines Mitglieds von Public Enemy zu performen.

Ein besonderes Spiel ist Williams’ Andeutung von Homosexualität. Als „Feel“ vor ein paar Wochen in Großbritannien erschien, hechelte die Presse am Montag die Rettung durch Elton John durch, am Dienstag die Sexsucht mit Callgirls und Stripperinnen, am Mittwoch, dass Robbie künftig unter dem Namen Frances auftreten wollte. Mit dem meisten Verve aber grub die Boulevardpresse einen schwulen Liebhaber Robbies aus, und verschiedene „Freunde“ äußerten sich pro und contra. Robbies Dublin-Bekanntschaft Raymond Hefferman, in „Feel“ beinahe als Stalker porträtiert, teilte mit, er habe mit Williams 1996 ein Boyzone-Konzert besucht. Als er nach einer Nacht voll Alkohol und Kokain aufgewacht sei, habe Robbie auf ihm gelegen und gerade eine sexuelle Handlung vollziehen wollen. Da gab es Grund, wirklich schockiert zu sein. Ein Boyzone-Konzert? Also wirklich!

Wenn man den Ausführungen in „Feel“ glauben darf, macht Williams privat gerne Witze über seine Person, seine Musik und sein Stardasein. Dreht aber durch, sobald es irgendjemand aus seiner Entourage wagt, auf dieser Ebene einzusteigen. Selbst gebrochen durch das offiziell abgesegnete Porträt des Buches ergibt sich ein Persönlichkeitsbild irgendwo zwischen kindlicher Kaiserin und weinerlichem Tyrannen. Einer der weniger erträglichen Aspekte von „Feel Robbie Williams“ ist denn auch die devote Art, in der Autor Chris Heath über die Misere schreibt, „ein Superstar im 21. Jahrhundert“ zu sein – wie es ebenso häufig wie hochtrabend heißt. Die Klage gilt vor allem zwei Personengruppen: den aufdringlichen Fans und den aufdringlichen Paparazzi. Also dem, was Robbie Williams zu Robbie Williams gemacht hat und ihn weiterhin dazu macht. Nun ist es zweifellos unangenehm, von Fans mit Psychomacke verfolgt zu werden. Aber da ein Popstar dieser Größenordnung zu sein zwangsläufig bedeutet, massenhaft psychisch labile Leute anzuziehen, um deren Hysterie und Geldbeutel auszubeuten, scheint es müßig, sich über Entgleisungen zu beschweren. Das Verhältnis von Fan und Star ist eben in sich irrational. Man sollte diese Irrationalität nicht bedienen, wenn man es nicht ertragen kann, dass es nicht dabei bleibt.

Ansonsten enthält das Buch einige gelungene Bonmots von Williams: „Rock ’n’ Roll: Ugly people getting laid since 1950. Ich meine, sieh dir Mick Jagger an.“ Es gibt hübsche Dialoge, deren Wahrheitsgehalt dahingestellt sei: Courtney Love: „Ich würde gerne mit dir schlafen. Aber ich habe ein Problem mit dem Poppding.“ Robbie Williams: „Das macht nichts. Ich habe ein Problem mit dem Hässlichkeitsding.“ Cameron Diaz: „Sind die großen Schamlippen wirklich erotisch“? Williams: „Na ja, ich bevorzuge das Steak.“

Ein furchtbar amüsantes Leben

Aber das Beste an Büchern aus England sind natürlich die Deutschenwitze. Wenn Guy Chambers, der Ex-Songwriter von Williams, etwa einen zum Besten gibt: „Ach, im Deutschen gibt es kein Wort für depressiv? Na, das liegt vermutlich daran, dass ihr immer gleich in Polen einmarschiert, wenn ihr euch mal schlecht fühlt.“

Depressiv ist ein gutes Stichwort, denn ein ganzes Buch von Robbie Williams könnte den Leser, deutsch oder nicht, hohl und depressiv stimmen. Nicht weil der Arme so ein schreckliches Leben führt – es gibt weiß Gott schlimmere Schicksale. Sondern weil es eigentlich ja furchtbar egal ist, was für ein Leben er führt. „Feel Robbie Williams“ hat die falsche Nähe von MTV-Doku-Soaps. Nach gut 200 Seiten beginnt man den Zustand von Teenagern zu erahnen, die den ganzen Tag Bravo und Popcorn lesen. Das kann zwischendurch auch sehr amüsant sein. Rave on, Robbie.