Keine Chance für Feuilletonisten

Vor 100 Jahren starb Theodor Mommsen – der einzige Historiker, der einen Nobelpreis für Literatur bekam. Er ist bis heute eine Ausnahme: Guter Stil ist in den Geisteswissenschaften bisher Nebensache. Die Sensibilität für Sprache wächst nur langsam

von GRIT EGGERICHS

Als der Berliner Historiker Theodor Mommsen 1902 den Nobelpreis bekam, war nicht zu sagen, wer größere Ehren erwarb: der erst ein Jahr alte und noch unbekannte Preis – oder Mommsen, 80-jährig, längst ein berühmter Mann. Mommsen war der erste Deutsche, der den Nobelpreis erhielt, und er war der einzige Wissenschaftler, der ihn für seine Schreibkunst bekam. Zwei Erklärungen bieten sich an: Wissenschaft und Kunst sind zwei strikt getrennte Welten. Und: Wissenschaftler können nicht schreiben.

„Im akademischen Leben spielt die leserfreundliche Gestaltung von Texten keine Rolle“, bedauert Stefan Wolle, Historiker und Autor des Bestsellers „Die heile Welt der Diktatur“, einer DDR-Alltagsgeschichte. Dass man sich mit einem gut geschriebenen Buch an der Uni nicht gerade beliebt macht, hat er selbst erlebt. „Man erntet eher Missgunst und Kopfschütteln, wenn man versucht, für den Leser zu schreiben, und damit auch Leute anspricht, die nicht Geschichte studiert haben.“ Wissenschaftlichkeit scheint sich noch immer aus komplizierten Formulierungen und prächtigen Fußnotenapparaten zu speisen.

Viele Fachautoren vermeiden es offenbar gezielt, LeserInnen schlüssige und spannend geschriebene Geschichte zu präsentieren. Vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs muss sich mit schlecht geschriebener Literatur plagen. „Nichts ist schlimmer als Schachtelsätze, der exzessive Gebrauch von Fremdwörtern und ein riesiges Theoriegebäude, das man auch nach mehrmaligem Lesen nicht versteht.“ Maria Schultz hat eben ihre Magisterarbeit in Geschichte an der Humboldt-Universität angemeldet.

Sie legt in ihren schriftlichen Arbeiten zwar Wert auf guten Stil, aber an der Uni hat sie das nicht gelernt: „Nur wenige Professoren achten darauf und machen bei Hausarbeiten eine ausführliche Stilkritik.“ Im Vorlesungsverzeichnis finden sich inhaltliche Seminare und Tutorien, die Studienanfängern den Umgang mit Quellen und Methoden nahe bringen sollen. Keine Schreibkurse. Kiran Klaus Patel, Juniorprofessor für Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Uni, bedauert diesen Mangel. „Wir erwarten, dass Studenten gut schreiben können, wenn sie an die Uni kommen – aber oft ist das Gegenteil der Fall.“ Zuerst versage die Schule, dann die Universität.

Viele Studenten scheitern aber nicht am Stil, sondern oft schon an der Anforderung, überhaupt etwas zu Papier zu bringen. „In ihrer ersten Arbeit müssen Studenten schon mal mindestens 15 Seiten schreiben. Da wird unheimlicher Druck aufgebaut, an dem dann auch viele scheitern“, sagt Anna Schmidt, ebenfalls Studentin an der Humboldt-Uni.

Schmidt hat das letzte Semester an der University of Sussex studiert. Studenten an britischen Unis schreiben statt langer Elaborate regelmäßig kurze Essays. „Das ist nicht schlecht“, erklärt sie, „man verliert durch Routine die Angst vorm leeren Blatt“.

Sie wünscht sich ein breiteres Angebot an Seminaren, in denen man kreativ zu schreiben lernt. HU-Professor Kiran Patel ist zuversichtlich, dass mit der Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master fachübergreifende Kurse eingerichtet werden, die das Schreiben lehren.

Für Historiker Wolle ist das allerdings keine Lösung. Er beschreibt ein strukturelles Problem: „Stil ist ja immer Persönlichkeit. Die wird im Universitätsbetrieb aber eher unterdrückt. Der Student, selbst der Habilitant, soll so schreiben, wie ihm das der Professor vorschreibt. Und um Gottes willen nicht besser!“

Der liberale Politiker Theodor Mommsen schrieb seine „Römische Geschichte“, nachdem die Revolution von 1848 gescheitert war. Sein Engagement und der Zorn über den Misserfolg lassen sich bei der Lektüre deutlich herauslesen. Mommsen schrieb mit Leidenschaft und holte so längst Vergangenes in die Gegenwart. Dafür bestraften ihn die zeitgenössischen Kritiker. Bis heute bewegt man sich in den Geisteswissenschaften auf unsicherem Eis, wenn man sich mit eigenem Stil und pointierter Meinung zu weit vorwagt.

Sich von diesem Muff eines hehren Wissenschaftbegriffs zu befreien ist für Studierende nicht ganz einfach. Für Maria Schultz ist der Schlüssel zum guten Schreiben ein „Denken fernab der Forschungsliteratur“. Sie liest viel Belletristik, auch Autoren wie Thomas Mann, Fontane und Kleist. „Eine gewisse Breite ist ganz wichtig. Romane helfen, das Gefühl für eine Zeit zu bekommen, seinen Blickwinkel zu verändern und dann auch Fragen zu stellen, die vor einem noch keiner gestellt hat.“ So viel Originalität mag nicht im Sinne des Professors sein, doch der Qualität eines Textes kommt es in jedem Fall zugute.

Sich anderswo umzusehen, den engen Kreis der eigenen Disziplin zu verlassen, das fördert die Universität kaum. Wissenschaftliche Karrieren sollen vor allem eines sein: geradlinig. Ist man einmal draußen, hat man nur schwer eine Chance, die Laufbahn fortzusetzen.

Dabei werden viele gute Bücher gerade nicht von strebsamen Universitätsdienern geschrieben, sondern von Quereinsteigern wie dem Komiker und Kabarettautor Georg Friedell, der eine sehr lesenswerte „Kulturgeschichte der Neuzeit“ schrieb.

Stefan Wolle bewundert an Friedell den schlichten einprägsamen Stil, vor allem aber „den Mut zum Urteil“. Das Buch wird bis heute verlegt.

Dennoch: Gute Platzierungen in Bestsellerlisten sind leider kein Nachweis für Qualität. Das Urteil „feuilletonistisch“ mag manchem akademischen Kritiker aber auch als Selbstschutz dienen.