Ein Käfig voller Lachen

Ihm als „Embedded Advocate“ im taz.mag bot jahrelang nur ein Gummibaum Deckung: Nun packt der taz-Hausjurist aus

VON PETER SCHEIBE

Bei den Kolleginnen und Kollegen gilt der Raum als die Strafkolonie der taz schlechthin: Auf einer Fläche, die arbeitsrechtlichen Standards hohnspricht, wird nicht nur die Existenz der taz juristisch verteidigt, sondern wurde bis zu dieser letzten Ausgabe von einem Kollegen und einer Kollegin das taz.mag produziert – auch ein Praktikantenplatz war stets besetzt. Hinzu kam die „Redaktionsmaus“, die freilich meist erst gegen Feierabend auftauchte. Vier Menschen und ein Tier auf engstem Raum – da bleiben Konflikte nicht aus.

An einen Innenhof grenzend, hat dieser Platz immerhin den Vorteil, ungeahnte olfaktorische Kompetenzen zu fördern. Mit Küchengerüchen musste man hier schon früher leben, als der Hausitaliener noch die taz-Mitarbeiter beköstigte. Seit das taz-eigene Café eröffnet wurde, ist die tägliche Melange in der Nase noch vielfältiger, sodass nach langjähriger Schulung ein Auftritt bei „Wetten, dass …?“ in greifbare Nähe rückt. Während man bereits morgens das Mittagsmenü erriecht, bleiben auch die Ohren nicht unterfordert, wenn die am Vorabend von trinkfreudigen Mitarbeitern wie Gästen geleerten Flaschen geräuschvoll mit mehreren unerwarteten Zugaben entsorgt werden. Akustisch wird man zugleich in die Zange genommen von den beiden Kollegen des Medienressorts mit zwei Stentorstimmen und immerhin nur einem meckernden Lachen. Das Schließen der Tür als Verteidigungsmaßnahme vermag nur einen optischen Placeboeffekt zu bieten, weil die Zwischenwände wie überall in der taz auch hier nur aus Glas bestehen. Obwohl sie selten geputzt wird und Warnaufkleber mit Vogelmotiven eigentlich unnötig sind, gelingt es den Insassen immer wieder, mit dem Kopf oder der gefüllten Kaffeetasse vor die geschlossene Glastür zu laufen.

Dass mittwochs im angrenzenden Seniorenwohnhaus ein Kulturprogramm stattfindet, ist ebenfalls kaum zu überhören. Entweder versucht ein Alleinunterhalter verzweifelt, gute Laune zu verbreiten, oder brüchige Stimmen vereinen sich zu einer Art Chor. Der Blick auf die Behausung der betagten Nachbarn, die aussieht wie ein Altenheim und keineswegs wie eine „Seniorenresidenz“, stimmt bei dem Gedanken an die eigene taz-Rente alles andere als zuversichtlich und wird auch durch eine Reihe eingestaubter Grünpflanzen auf dem Fensterbrett kaum gemildert. Diese Leidensgefährten hat immerhin die Pflanzenbeauftragte aus der taz-Buchhaltung in ihre Obhut genommen.

Warum also setzt man sich – noch dazu als Unbeteiligter – diesen Strapazen aus? Weil diese Enklave zugleich ein Universum der guten Laune war! Wie in einem Highschool-Film und in jeder Schulklasse waren hier die unterschiedlichsten Charaktere vertreten: der erbsenzählende, neunmalkluge Rechtsanwalt musste sich nach einem Zwischenaufenthalt mit Blick auf eine Wand seinen Platz im Herzen des taz.mag erst erobern und diktatorische Fähigkeiten erlernen, trotzt aber nun mit seinen angeberisch randvoll mit Aktenordern gefüllten Regalen wie ein Fels in der Brandung den Umzugsmaßnahmen, die die Besatzung des taz.mag in alle Richtungen davonspülen.

Unsere höhere Tochter mit Perlenohrsteckern und Heiratsabsichten promoviert mit rheinischem Frohsinn seit gefühlten Jahrzehnten über englische Liebessonette der Renaissance. Ein häuslicher Keramiksammler und Thermoskannenbesitzer wurde durch einen nikotin- und koffeinabhängigen Hedonisten mit Brandenburger Landgut abgelöst. Zwischendurch platzte der „Chef“ des taz.mag zu seinen gefürchteten Kontrollbesuchen herein, dessen orkanartige Auftritte nur noch von der anschließenden Hysterie seiner Schäfchen übertroffen wurde.

Auch das regionale Gefüge sorgte für willkommene Reibungspunkte: Das Rheinland war der Karneval in Person, durch die Mosel floss abends selten nur Wasser, während Ostwestfalen eher die gedämpften Töne bediente, Sachsen-Anhalt den Quotenossi mimte und von der Waterkant allen anderen stets eine steife Brise ins Gesicht wehte.

Auch wenn es kaum inhaltliche Berührungspunkte zwischen dem Justiziariat und dem taz.mag gab: Dieses räumlich verordnete Miteinander vermochte, typisch für die taz, scheinbar Trennendes zu verbinden. Während die Mitarbeiter des taz.mag nebenbei eine presserechtliche Schulung erhielten, lernte der Justitiar den Redaktionsalltag kennen. Was hat man nicht auch als Außenstehender bei jeder Ausgabe gebangt! Wird der stets mehrfach angemahnte und buchstäblich in letzter Minute eingehende Text des Gastrokritikers auch dieses Mal rechtzeitig ankommen? Findet sich im Fotoressort eine verständnisvolle Dienstleisterin, oder muss wieder mit einer Konzeptkünstlerin um die stimmige Bebilderung gerungen werden? Wo bleiben die Letzten Fragen? Als stiller Beobachter war man nie dabei, aber stets mittendrin. Unterdessen sammelten sich zu Hause die Ausgaben des taz.mags, in denen man stets einen interessanten Text, dessen Lektüre man demnächst mehr Zeit widmen wollte … Der Stapel wurde immer größer, ohne dass man sich trennen konnte. Nun fällt die Trennung noch schwerer. Mit dem letzten taz.mag wird auch sein ganz reales Biotop nach jahrelanger Symbiose aufgelöst. Es bleibt mehr als die Summe der einzelnen Teile.

(MIESE-)PETER SCHEIBE, Jahrgang 1972, hat nun neue Nachbarn