Leute, lasst das Kürzen sein!

Studenten der Technischen Universität treten in den Streik und legen als Erstes den Ernst-Reuter-Platz lahm. Sie fordern 135.000 Studienplätze, Macht in Ausschüssen und ein gebührenfreies Studium

von MEIKE RÖHRIG

Nichts ging mehr auf dem Ernst-Reuter-Platz, als gegen elf Uhr gestern Vormittag einige hundert Studierende der Techninschen Universität (TU) mit einer Spontandemo den Verkehr lahm legten. Selbst die eilig anrückende Polizei steckte zunächst fest.

Bereits seit sieben Uhr morgens blockieren Posten die Zugänge zum Hauptgebäude und zum Mathematikgebäude. Die Türen sind mit Stahlketten und Absperrband verrammmelt. Wo Vorlesungen stattfinden, ziehen Studi-Gruppen durch die Hörsäle, um ihren noch unwissenden Kommilitonen die Nachricht zu verkünden: Laut Beschluss der Vollversammlung von Montagnachmittag befinden sich die Studierenden der TU im unbefristeten Streik.

Der Unmut der Studis richtet sich gegen die vom Senat verordneten Kürzungen an den Hochschulen: Die drei Unis sollen zwischen 2006 und 2009 75 Millionen Euro einsparen, von denen entfällt der größte Batzen, rund 30 Millionen Euro, auf die TU.

Die Studierenden praktizieren im jetzigen Streik gleich einen Rundumschlag: Es geht auch gegen die Einführung von Studiengebühren und Studienkonten sowie gegen eine professorale Übermacht in den akademischen Gremien. Ihre Forderungen: 135.000 ausfinanzierte Studienplätze, ein gebührenfreies Studium und eine gleichberechtigte Sitzverteilung in den universitären Ausschüssen.

Viele Studenten sind aufgebracht, allein es mangelt an Organisation: Die morgendliche Spontankundgebung wird von der Polizei schnell aufgelöst, weil sich trotz mehrfacher Bitten kein verantwortlicher Ansprechpartner meldet. Dann bieten die Ordnungshüter an, später eine offizielle Demo auf dem Platz zu genehmigen. „Es müsste sie nur jemand beantragen“, sagt einer der Beamten schulterzuckend.

Auch bei den Aktivisten in den Gebäuden herrscht Ratlosigkeit. Vor dem Hörsaal HE 101 im Mathematikgebäude verteilen zwei Erstsemesterinnen Flugblätter. Die hat man ihnen in die Hand gedrückt und gesagt: „Stellt euch da hin!“ Die Vorlesung um 12.15 Uhr findet trotzdem statt. „Schließlich können wir dem Prof. ja nicht das Mikro wegreißen.“ Für den AStA-Vorsitzenden Marius Pöthe ist das Chaos kein Problem: „Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe, aber die Proteste müssen wirklich von unten kommen und nicht von uns gelenkt werden.“

An der Basis macht sich indes schon am ersten Streiktag vereinzelt Resignation breit: „Wir machen das Gebäude jetzt wieder auf, weil die Resonanz zu gering ist“, sagt Daniel, der im 2. Semester Verkehrswesen studiert – obwohl er die Aktionen für wichtig hält: „Wenn Studiengebühren kommen, könnte ich mir das Studium nicht mehr leisten.“

Inzwischen verkünden frisch gedruckte Zettel 13 Uhr als Termin für die neue Demo. Die Aushänge stoßen auf mäßiges Interesse – spannender ist die Notebook-Präsentation einer Computerfirma im Foyer.

Im Audimax, wo den ganzen Tag Infoveranstaltungen zum Streik laufen sollen, sitzen rund 30 Leute, weit verstreut. Die Mobilmachung macht Kaffeepause. Auf die zögerliche Resonanz angesprochen, gesteht die Studentin am Info-Tisch: „Klar würde ich auch lieber in der Vorlesung sein und meinen Stoff lernen.“ Sie will ihren Namen lieber nicht nennen. „Aber man muss sehen, was einem auf lange Sicht mehr nützt“, fügt sie eilig hinzu.

Das sehen andere wohl ebenso, denn zur mittäglichen Demo erscheinen immerhin rund 1.000 Teilnehmer. Danach werden Aktionsgruppen gegründet, die für heute weiteren Protest planen. Ergebnisse des ersten Brainstormings: Eine öffentliche „Ringvorlesung“ in der S-Bahn um 8.45 Uhr und Unterschriftensammeln für eine Petition an den Senat.