Osttimor fällt UN-Ermittlern in den Rücken

Der osttimoresische Präsident Xanana Gusmão und sein Außenminister José Ramos-Horta fordern bei Besuch in Berlin ein Ende der juristischen Aufarbeitung der indonesischen Verbrechen in ihrem Land. Menschenrechtler sind empört

BERLIN taz ■ „Gerechtigkeit bedeutet wirkliche Unabhängigkeit und einen höheren Lebensstandard.“ Mit diesen Worten hat der osttimoresische Präsident Xanana Gusmão bei seinem ersten Deutschlandbesuch dafür geworben, lieber seinem Land direkt zu helfen, als die indonesischen Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Osttimor, das 1975 bis 1999 von Jakarta kontrolliert wurde, vor Gericht zu bringen. „Auch wir haben Fehler vor der [indonesischen] Intervention gemacht“, sagte Gusmão in Anspielung auf innertimoresische Konflikte während der Loslösung von Portugal 1975. „Wenn wir anfangen, uns selbst zu bestrafen, können wir nicht leben.“

Gusmão beklagte sich vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin über die hohen Kosten der von der UNO eingesetzten „Serious Crimes Unit“ (SCU), in der internationale Juristen die Menschenrechtsverbrechen vor und nach dem Unabhängigkeitsreferendum 1999 untersuchen und Klagen gegen indonesische Generäle vorbereiten. Damals töteten proindonesische Milizen, die vom Militär aufgestellt wurden, über tausend Menschen, 200.000 wurden vertrieben. Das führte zur australischen Militärintervention mit UN-Mandat. Ein SCU-Anwalt verdiene mehr als er selbst, beklagte Gusmão. „Will die internationale Gemeinschaft ein Tribunal, soll sie es machen, aber sie sollte uns nicht dazu zwingen.“ Von einem Tribunal verspreche sich seine Regierung nichts, auch wenn Jakartas Versuche juristischer Aufarbeitung für die angeklagten indonesischen Generäle alle mit Freisprüchen endeten.

„Indonesien wird nicht noch mal den Fehler einer Intervention machen“, sagte Gusmão. Indonesien habe heute mehr Herausforderungen zu bewältigen als Osttimor und entwickle sich demokratisch. „Wollen wir Indonesien helfen, ist Prävention besser als Strafe. Wir sprechen von Gerechtigkeit als Gerechtigkeit und nicht als Rache. Stellen wir aber Gerechtigkeit vor Versöhnung, wird Indonesien dies als Rache sehen.“

Gusmão löste im Mai Kritik aus, als er sich mit dem indonesischen Präsidentschaftskandidaten Wiranto traf und diesen hoffähig machte. Wiranto war 1999 Militärchef und für die Gräuel in Osttimor verantwortlich. Die SCU wollte im April gegen ihn einen internationalen Haftbefehl erwirken. Osttimors Generalstaatsanwalt lehnte dies aber ab, sodass Wiranto sich bis heute nicht verantworten muss.

„Für die Opfer ist Gusmãos Verhalten ein Schlag ins Gesicht“, sagte Monika Schlicher von der Berliner Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia zur taz. „Die Osttimoresen wollen Gerechtigkeit, doch die Regierung leistet dazu keinen Beitrag.“ Gräuel unter den Teppich zu kehren führe dazu, dass sie sich wiederholten. Außenminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta räumte ein, dass es merkwürdig scheine, wenn die Justiz heute Viehdiebe verurteile, damalige Mörder aber unbelangt blieben. „Das war 1999, aber heute haben wir einen Rechtsstaat“, so Ramos-Horta.

Laut Schlicher könne sich ohne Aufarbeitung der Vergangenheit kein Vertrauen in den Rechtsstaat entwickeln. Ramos-Horta plädierte dafür, Indonesiens geplanter Wahrheits- und Versöhnungskommission eine Chance zu geben. Ein internationales Tribunal sei aussichtslos, weil dies der Weltsicherheitsrat nicht wolle, das Geld nicht reiche oder Jakarta nicht kooperiere.

Gegenüber Außenminister Joschka Fischer, der im Februar Osttimor besuchen will, warb Gusmão gestern nach Informationen des Auswärtigen Amtes für die Versöhnung mit Indonesien und für eine Unterstützung ehemaliger Unabhängigkeitskämpfer. Deren schwierige soziale Lage sei riskanter als das Verhältnis zu Indonesien. SVEN HANSEN