Die Homofrage wird offiziell

Auf dem Bundeskongress türkischstämmiger Homosexueller denken Migrantenfunktionäre über das Schwul- oder Lesbischsein nach – ein Dialog, der bisher gerne verdrängt wurde. Auch diesmal bleiben einige Antworten gewunden

Liegt es an fehlender Bildung, dass schwule Jungs oder lesbische Mädchen türkischer Herkunft in ihren Familien oftmals regelrecht fertig gemacht werden? Dass ihre Eltern sie als unwürdig bezeichnen? Dass, andererseits, das muslimische Gebot, den Kindern den Weg ins Leben nicht beschwerlich zu machen, gerade in dieser Hinsicht krass verletzt wird? Fragen, denen am Wochenende die wichtigsten Organisationen der türkischstämmigen Einwanderer nachgingen. „Homosexualität als neue Herausforderung für Migrantenorganisationen?“ hieß der Titel im Rahmen des vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland und von Gladt (Schwule und Lesben aus der Türkei) veranstalteten ersten Bundeskongresses türkischstämmiger Homosexueller (die taz berichtete).

Bildung, so Celal Altun, Generalsekretär der Türkischen Gemeinde in Berlin, sei bestimmt auch ein Grund mangelnder Toleranz, wie auch Cumali Kangal vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB) einräumte. Eine Formel, der Sanem Kleff vom Verein „Schule ohne Rassismus“ widersprach. „Die SS war eine Naziorganisation, in der anfänglich nur hochgebildete Männer aufgenommen wurden – und die zugleich zu den Gruppen zählte, in denen Homophobie am stärksten kultiviert wurde.“

Es war das erste Mal, dass Schwule und Lesben mit Migrationshintergrund überhaupt ihre Meinungsführer zu einem Dialog bewegen konnten. Denn bislang, so sagten es alle auf dem Podium, sei jedes Gespräch mit dem Hinweis verweigert worden, dass man über alles sprechen könne, aber zu seiner Zeit – vordringlich seien Fragen wie Arbeitslosigkeit oder Rassismus.

Gerbert van Loenen, Korrespondent der niederländischen Zeitung Trouw in Berlin, fürchtet, würde das Thema in den muslimisch geprägten Milieus nicht diskutiert, drohe wie in seiner Heimat eine politische Zuspitzung wie durch Pim Fortuyn: Der hatte vor drei Jahren bekundet, dass mehr und mehr Homosexuelle Angst vor Einwanderern und Einwanderung hätten, weil sie das liberale Niveau der Niederlande nicht akzeptierten. Sanem Kleff wollte laue Bekundungen der Migrantenfunktionäre zur Toleranz nicht hinnehmen: Der Hinweis, es sei anderes drängender, verschöbe die Homofrage, so sinngemäß, ins unerreichbar Paradiesische.

Konkreter wurden die Herren, als sie sich vorzustellen suchten, wie es wäre, hätten sie schwule oder lesbische Kinder: Würden sie deren Feiern zu einer Eingetragenen Partnerschaft besuchen? Seltsam gewunden die Antworten: Suat Bakir vom Türkisch-deutschen Unternehmerverband bejahte dies, Celal Altun meinte, er müsse sich das überlegen, aber wahrscheinlich würde er die Feier besuchen. Altun kam auf die Frage am Ende zurück und ergänzte: „Aber ich würde mein Kind trotzdem heterosexuell erziehen.“

Wie kostbar der begonnene Dialog, bei allem Unzulänglichkeiten im Detail, ist, bewies schon Tage vor dem Kongress eine Episode aus dem Bezirksamt Berlin-Schöneberg: Eigentlich war verabredet, während der Veranstaltung vor dem Haus drei Flaggen zu hissen – eine Berliner, eine Regenbogenfahne und eine türkische. Nachdem dies öffentlich ruchbar wurde, protestierten Schöneberger und Tempelhofer türkischer Herkunft. Das Bezirksamt verzichtete, so eingeschüchtert wie politisch korrekt, auf die Geste. JAN FEDDERSEN