Der Weichspüler des Elends

14.000 Gespräche hat Jürgen Domian in zehn Jahren „Domian“ geführt – jetzt spendiert sein Sender dem furchtlosen Psycho-Onkel samstäglich ein größeres Studio – und einen Gast (23.30 Uhr, WDR)

AUS KÖLN MARTIN WEBER

Am frühen Morgen um kurz nach zwei haben es die Hirsche geschafft. Der große aus weißem Porzellan, und auch der kleine aus Silber. Ihr Besitzer parkt sie über Nacht in einem Wandschrank des Studio B, gleich neben dem Wasserglas, aus dem er Nacht für Nacht trinkt und seine Talkmasterkehle benetzt.

Jürgen Domian heißt der Herr der Hirsche, ist 46 Jahre alt und betreibt seit fast zehn Jahren bei Radio „Eins Live“ eine Talkshow, die seinen Nachnamen trägt. Rund 14.000 Live-Gespräche mit seiner überwiegend problembeladenen Kundschaft hat er in dieser Zeit geführt – und sich nebenbei zum telegenen Kummerkastenonkel des WDR-Fernsehens gemausert.

Derart charmant und glaubwürdig kommt Domian auf dem Bildschirm rüber, dass ihm sein Sender nun immer wieder samstags eine kleine Variation des Formats spendiert. Ob es um schmerzliche Liebesbeweise (junger Mann will die Holde mit einer Rose im Gemächt erfreuen), Objektsexualität (Ich liebe meine Heimorgel) oder lebensbedrohliche Krankheiten (Gesichtstumor) geht: Die ganze Palette menschlichen Elends, von bizarr-bekloppt bis tieftraurig-ernst, wird von dienstags bis freitags ihren Sendeplatz finden. Und am späten Samstagabend wird bei „Domian“ ab sofort ein Prominenter sitzen, den die Zuschauer live befragen können.

Als erfahrener Fragenfallensteller, der Domian nun mal ist, geht er das Update seiner Fernsehstunde gelassen an: „Du kannst die Talkshow nicht neu erfinden“, sagt er, „aber dass sich ein Promi hinsetzt und live auf Fragen von Anrufern reagiert, das gibt es ja bisher im deutschen Fernsehen nicht.“

Wenn Domian selbst in seiner bewährten Mischung aus Journalismus, Boulevard und Belanglosigkeit eine stinknormale, promifreie Folge seiner Sendung durchzieht, ist er mal Moralapostel für eine verwirrte Gesellschaft, mal verständnisvoller Verwalter des Elends.

„In der Küche passiert“, hieß das Thema in der Nacht auf Freitag, und es meldete sich zum Beispiel Ulrike, 20. Die hatte – Donnerwetter! – Sex auf dem Küchentisch und wurde dabei erwischt. „Wie groß war denn der Küchentisch, konntest du bequem liegen?“, fragt Domian. Wer da nicht müde wird, findet auch das gut gefönte Onkeln spannend, dass ZDF-Sitzprediger Johannes B. Kerner veranstaltet. „So was kann in der Küche passieren“, salbadert Domian später. Fürwahr: Es soll sogar Leute geben, die in der Küche essen.

Dann ist Nina, 18, dran – und sofort schaltet Domian um. Schneller als jeder Hochgeschwindigkeits-Zapper schafft er den Absprung vom Banalitätenkarussell und hält inne. Spricht langsamer. Noch ruhiger. Noch bedächtiger. Ninas zweijähriger Sohn ist in einem unbeobachteten Moment in der Küche aus seinem Kindersitz gefallen und an den Folgen des Sturzes gestorben. Domian hält Nina eine Weile auf dem Sender und bietet dann ein Gespräch mit einem Psychologen an, der im Hintergrund Nacht für Nacht parat steht.

Ein bisschen ist das so wie mit Schmutzwäsche: Für die 30-, 40- und 60-Grad-Version ist Domian zuständig, und die Kochwäsche, die ganz heißen Fälle, die müssen in die Grundreinigung zur Psychologin Claudia, die später sagen wird: „Ich hab’ getan, was ich konnte – und dem Mädchen ein paar Adressen und Ansprechpartner genannt.“

Irgendwann ist es dann zwei Uhr, Sendeschluss für „Domian“. Die Bilanz der Nacht, in der Ereignisse aus deutschen Küchen auf den Sender kamen: dreimal Sex, ein totes Kind, ein missglückter Suizid, Parkinson, eine Geburt. Kein schöner Land in dieser Zeit.

Und nicht nur in dieser. Denn: Morgen wird wie heute sein und morgen wie gestern. „Domian“ kommt wieder. Heute, wir erwähnten es bereits, ist erst mal Arabella Kiesbauer zu Gast. Schön ist was anderes. Für uns Menschen. Und auch für die Hirsche, den großen weißen aus Porzellan und den kleinen aus Silber. Wird bei der Sendung mit Arabella Kiesbauer auch ein Psychologe im Hintergrund Dienst tun? Und wer wird seine Dienste in Anspruch nehmen müssen? Arabella? Domian? Alle beide?