Rumänien stellt sich seiner Geschichte

Staatspräsident Iliescu setzt eine internationale Expertenkommission zur Aufarbeitung des Holocaust ein

BERLIN taz ■ Rumänien scheint nun doch entschlossen, sich seiner faschistischen Vergangenheit zu stellen: Unlängst rief Staatspräsident Ion Iliescu eine internationale Expertenkommission ins Leben, die sich der Erforschung des rumänischen Holocaust in der Zeit von 1937 bis 1951 widmen soll. „Diese Initiative reiht sich in die Bemühungen unseres Landes ein, Toleranz zu fördern und gegen jegliche Manifestation von Xenophobie und Antisemitismus zu kämpfen sowie unsere Vergangenheit anzunehmen – mit ihrem Licht und Schatten“, sagte Iliescu anlässlich der Gründung.

Die präsidiale Metamorphose verwundert. Noch im vergangenen Juni hatte die Bukarester Regierung mit ihrer Behauptung, in Rumänien habe kein Holocaust stattgefunden, massive internationale Proteste ausgelöst. Rund einen Monat später schlug Iliescu in die gleiche Kerbe und bezeichnete den Holocaust in einem Interview mit der israelischen Zeitung Ha’aretz als „gesamteuropäisches Phänomen“ (taz v. 19. 6. 03 und v. 31. 7. 03).

Namhafte Experten sehen demgegenüber sehr wohl eine rumänische Komponente. So geht der israelische Holocaust-Forscher Jean Ancel davon aus, dass unter der Militärdiktatur des rumänischen Hitler-Verbündeten Ion Antonescu in der Zeit von 1940 bis 1944 bis zu 410.000 Juden und zwischen 25.000 und 30.000 Roma ermordet wurden. Antonescu wurde 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet.

Unter dem Vorsitz des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel gehören der Kommission, deren Arbeit die rumänische Regierung finanziert, 30 Experten aus den USA, Rumänien, Deutschland, Israel, Frankreich und Tschechien an. Rumänien entsendet unter anderem Ion Scurtu, Historiker und derzeit Präsidentenberater für Geschichtsfragen. Auf seine Rolle darf man gespannt sein, hatte sich Scurtu doch erst unlängst für eine positive Beurteilung des Antonescu-Regimes eingesetzt.

Die Kommission soll für ihre Arbeit unbeschränkten Zugang zu allen verfügbaren rumänischen Quellen erhalten – ein absolutes Novum, da bislang immer noch zahlreiche wichtige Dokumente unter Verschluss gehalten werden. Nach dem Willen der rumänischen Regierung soll die Kommission bereits im Herbst kommenden Jahres ihren Bericht vorlegen. Dieser Zeitpunkt scheint zwar verfrüht, jedoch alles andere als zufällig gewählt. Denn dann stehen in Rumänien sowohl Parlaments- als auch Präsidentschaftswahlen an. Der Verdacht liegt nahe, dass sich Iliescu, der nicht mehr kandidieren darf, gerne als Versöhner und „Geschichtsaufarbeiter“ profilieren möchte.

Gabriel Andreescu, Mitglied des Helsinki-Komitees für Menschenrechte in Rumänien, hält die Schaffung der Kommission in erster Linie für einen opportunistischen Schachzug Iliescus. Immerhin habe der Präsident den Antisemitismus viele Jahre für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Dennoch sei die Wirkung auf wichtige Gruppen in der Gesellschaft, wie Schüler oder militärische Führungskräfte, nicht zu unterschätzen. „Der Zug“, sagt Andreescu, „der bislang in die falsche Richtung gefahren ist, wird jetzt auf das richtige Gleis gesetzt.“

Ob auch genügend Leute einsteigen oder die Reise wieder in einem Sackbahnhof endet, wird sich jedoch erst noch zeigen. Laut einer Umfrage von Gallup und dem Bukarester Institut für öffentliche Politik zu Intoleranz, Nationalismus und Autoritarismus vom Oktober meinen 84 Prozent der Befragten, dass Rumänien einen starken Führer brauche, der Ordnung im Land schafft. Wären jetzt Präsidentenwahlen, käme der Chef der faschistischen Groß-Rumänien-Partei, Vadim Tudor, mit 23 Prozent auf den zweiten Platz und damit, nach 2000, erneut in die Stichwahl. BARBARA OERTEL