Scharf? Kräuter? Mit alles?

Tanzende schwitzen, dazu wummern Bässe, und ein paar Meter weiter dreht sich ein Dönerspieß.Die Dönerlounge in Kreuzberg will alles, nur keine hippen Mitte-Gäste. Denen ist es zu laut und heiß

„Wir sind das Gegenteil von Arschwackeln und Gin-Tonic-Schlürfen“

von SILKE KETTELHAKE

Die Schlesische Straße in Berlin-Kreuzberg ist endlos. Die Autos donnern nach Osten, über den Grenzstreifen, am Mysliwska vorüber, dem polnischen Jägercafé, das schon vor der Wende ein zweites Zuhause für Künstler und Maler bot.

Für so manchen ist das Mysliwska auch heute noch der Tresen der Hoffnungslosigkeit. Doch die Zeiten ändern sich. Vorbei die Jahre, als Mimi ihren thailändischen Imbiss einfach vor die Bar stellte und der Gehsteig nach Fischsoße und Kokosmilch roch, vorbei die Zeiten, als elfjährige Romamädchen sich den schockierten Gästen feilboten.

Das war, als das Haus als Asylbewerberheim diente, der Müll meterhoch im Innenhof lag und die Kakerlaken über die Plattenspieler krochen. Immer pleite, aber immer ging’s weiter, so ging’s dem Mysliwska, so geht es den Gästen.

Billig und gut, das ist Kreuzberg 36, und das haben inzwischen auch die jungen Leute aus den hippen neuen Vierteln entdeckt. Und es hat diesen muffeligen, vergrätzten Charme, der aus den Narben blitzt: I will survive!

Nachdem alle Keller in Mitte geputzt sind, galoppiert die Partycrowd über die neue alte Spielwiese zwischen Falckenstein- und Cuvrystraße in die Dönerlounge. Immer donnerstags verwandelt sich dieser Teil der Schlesischen Straße jetzt zum Laufsteg der heißesten Nächte. Cantürk, 26, Politologiestudent, hatte zusammen mit Geraldine, 32, Grafikerin mit dem erlesenen Sinn für Details, die Idee zur Dönerlounge: „Da es bei uns zu laut und zu heiß ist, bleiben die typischen Mitte-Gäste fern. Denen ist das nicht loungig genug. Wir sind das Gegenteil von Arschwackeln, Rumstehen und Gin-Tonic-Schlürfen. Organisierte Langeweile gibt es bei uns nicht.“

Einfach mal was machen, nicht immer nur Ideen wälzen und alles auf morgen verschieben, haben sich die beiden gedacht. Und Ziya Karnas, türkischer Imbissbesitzer, schloss sein Hinterzimmer auf.

Ziya und seine Kollegen in der Dönerstation rechts neben dem Mysliwska wundern sich über die aufgekratzten Menschenmassen, die durch seinen Imbiss wandern. Doch nach 27 Jahren Dönersäbeln kann ihn nichts mehr erschüttern. Ziya schwitzt vor dem drehenden Dönerspieß, hinten schwitzen die Jungs und Mädchen. Es ist eng, und der Schweiß läuft in Strömen. Die Stimmung ist euphorisiert wie bei den ersten Raves vor zehn Jahren, die Musik pumpt Bass. Steffi und ihre Freundin stehen mit glänzenden Augen hinter der Bar, tanzen. Alle tanzen. Jeder scheint jeden so gut zu kennen, als würde man miteinander intime Geheimnisse teilen. Döner verkauft Ziya kaum, aber der große Doppelkühlschrank mit den Getränken ist am Morgen danach immer leer. Besonderes Highlight: wenn Steffi und ihre Freundin sich auf den Tresen legen und die männlichen Gäste Raki aus ihren Bauchnabeln schlürfen dürfen.

Ziya freut sich mit ihnen, ab und zu schlendert er aus seinem Imbiss ins Hinterstübchen, ein bisschen Mädchen gucken. In den kleinen Raum mit den Teppichen neben der Tanzfläche traut er sich meist nicht, denn neben Marathontanzen ist Marathonknutschen hier angesagt.

Die Einrichtung seines Hinterzimmers gefällt Ziya überhaupt nicht. Er würde alles ganz anders machen, viel Weiß, mit Spiegeln, eben modern. Geraldine sagt: „Das fertig eingerichtete alte türkische Restaurant war vollgestopft mit Plastikblumen und kitschiger Einrichtung. Wir haben das Ganze ergänzt durch eine Art türkisches Wohnzimmer im hinteren Teil der Lounge, mit Kissen und Teppichen zum Chillen. Nichts wurde weggenommen.“

Tanzwütige Türken verirren sich kaum in die Dönerlounge; vielleicht ist ihnen die Ausstattung voller Einwanderercharme fremd. Cantürk: „Bisher hatten wir wenig türkische Gäste, was vor allem daran liegt, dass hier konsequent elektronische Musik gespielt wird.“ Was laut Cantürk ein noch gewichtigerer Grund sein dürfte ist, dass es mittlerweile eine in den Alltag übergegangene Art von Segregation gibt: „In Kreuzberg ist über die Hälfte der hier lebenden Menschen türkisch, doch in den Bars und Kneipen sind sie nicht anzutreffen. Die Szenen sind nach wie vor strikt getrennt durch eine unsichtbare Grenze.“

Und wieder reicht die Nacht bis in den Tag. Die ersten Bauarbeiter sind schon auf. Sie starren verständnislos auf die durchgerockten Jungs und Mädchen, die da aus einem Imbiss strömen.

Wer zu Döner nicht nur tanzen mag: Freitag bietet die „Lange Nacht des Döners“ ab 20 Uhr kulinarische und kulturelle Genüsse im Wedding