Chronist des jüdischen Widerstands: Arno Lustiger liest aus seinem Buch „Sing mit Schmerz und Zorn“
: Don Quijote der Geschichte

Bekannt geworden ist Arno Lustiger als Chronist des jüdischen Widerstands. Seine Bücher Schalom Libertad über die jüdischen Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg, Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933–1945 sowie Rotbuch: Stalin und die Juden sind längst Standardliteratur. Zu seinem 80. Geburtstag hat der Aufbau-Verlag eine Textsammlung vorgelegt, die mit einem Mix aus autobiografischen Skizzen und Erinnerungen an Familienangehörige und Weggefährten einen neuen Zugang zur Person des Autors gestattet.

Arno Lustiger wurde 1924 in der westpolnischen Stadt Bedzin geboren, damals ein blühendes kulturelles und wirtschaftliches Zentrum jüdischen Lebens, das auf eine vielhundertjährige Geschichte zurückblicken konnte. Eine Welt, die mit dem Einmarsch der Nazi-Armeen am 4. September 1939 schlagartig zerstört wurde. Am 8. September wird die Synagoge in Brand gesteckt, die jüdische Bevölkerung in Arbeitslagern interniert. Ab 1942 beginnen die Deportationen nach Auschwitz, wo Vater und Bruder Arno Lustigers ermordet werden.

Sein eigenes Überleben: ein Zufall wider alle Wahrscheinlichkeit. Nach einer Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager, darunter Auschwitz-Blechhammer und Buchenwald, sowie zwei Todesmärschen gelingt ihm in den letzten Kriegstagen die Flucht, eine amerikanische Panzerpatrouille liest ihn am Wegrand auf. „Ich dachte manchmal, ich sei der letzte Jude“, erinnert er sich im Rückblick an jene Tage.

Auf der Suche nach überlebenden Angehörigen zieht er kreuz und quer durch die Lande, macht schließlich Mutter und Schwestern ausfindig. Gemeinsam kommen sie im Lager für displaced persons in Zeilsheim bei Frankfurt unter. Deutschland ist ihnen nur „Nachtasyl“, den „verfluchten Kontinent“ wollen sie so schnell wie möglich verlassen. Doch gesundheitliche Gründe sprechen gegen eine Auswanderung nach Palästina, und die Einreise in die Vereinigten Staaten scheitert an bürokratischer Willkür. So bleiben sie in Frankfurt.

Neben seiner Tätigkeit als Textilkaufmann beteiligt sich Arno Lustiger am Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde Frankfurts. Später wird er zum Vorsitzenden der Zionistischen Organisation in Deutschland gewählt, ein Umstand, der zu einem schmerzhaften Konflikt mit seinen linken Sponti-Freunden führen wird.

Über seine Erfahrungen in den KZs redet er wie viele Überlebende nicht, hüllt sich in einen „Kokon des Schweigens“. Bücher über die Schoah versteckt er vor den Kindern in der zweiten Reihe des Bücherregals. Erst eine Begegnung mit dem Historiker Saul Friedländer durchbricht die Blockade. Arno Lustiger beginnt mit 60 Jahren zu schreiben, stellt als Amateurhistoriker die Deutungshoheit der täterzentrierten Holocaustforschung in Frage, konfrontiert sie mit der Sicht der jüdischen Opfer und Widerstandskämpfer.

Vor allem Letzteren, den idealistischen Don Quijotes der Geschichte, ist sein Lebenswerk gewidmet.

Theo Bruns

Do, 20 Uhr, Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55