„Trafficking macht die humanitären Kriege noch zweifelhafter“, sagt Frau Jurschick

Warum UNO und internationale Organsiationen in Bosnien und Kosovo Teil des Problems sind, das sie lösen sollen

taz: Ist das Trafficking, der Handel mit Frauen und deren Zwangsprostitution in Bosnien und Kosovo, ein Massenphänomen? Gibt es sichere Zahlen?

Karin Jurschick: Es gibt Schätzungen, etwa von Human Rights Watch, die von zehntausenden sprechen. Das ist eine seriöse Quelle. Andere Schätzungen liegen deutlich niedriger. Fakt ist, dass es in Moldawien Unmengen von Zeitungsannoncen gibt, die jungen Frauen eine bessere Zukunft und Arbeit im Westen versprechen. Dass ziemliche viele, die darauf hereinfallen, sich im Bordell in Bosnien wieder finden, ist eine Tatsache.

Und das liegt auch an UNO und SFOR?

Ja. Die UNO ist Teil des Problems, das sie lösen soll.

Warum?

Die Ökonomie liegt in Bosnien und in Kosovo am Boden, zumal nach dem Krieg, Geld bringen vor allem die paar tausend „Internationals“ ins Land. Denen müssen die Einheimischen alles verkaufen, was man verkaufen kann: Häuser, Dienstleistungen und, zynisch gesagt, auch Frauen. Die massive Nachfrage nach Frauen gäbe es ohne finanzkräftige internationale Kundschaft nicht. Im Grunde ist die bosnische und kosovarische Gesellschaft in eine Art Prostitutionsverhältnis zur internationalen Gemeinschaft gebracht worden – auch als Folge des Krieges, der doch Demokratie und Menschenrechte bringen sollte.

Trafficking ist ein System?

Ja, ich wollte den Kreislauf zeigen, in den die Frauen hineingeschleust werden. Am Anfang steht ihr Traum vom Westen, dann geraten sie an die Händler, die sie auf einem Zwischenmarkt verkaufen. Dort wird sortiert, wohin sie kommen: nach Deutschland, nach Bosnien oder in den Kosovo. Dann geraten sie womöglich in die Mühlen der UNO-Institutionen, wo sie wieder kategorisiert werden in „echte Prostituierte“ oder „echte Opfer“, um am Ende in ein Repatriierungsprogramm gesteckt zu werden – back to the start.

Warum ist Unterscheidung zwischen „echten“ und Zwangsprostituierten falsch?

Angesichts des Zwangs der Trafficker und und der materiellen Not der Frauen gibt es keine Freiwilligkeit. Es gibt aber viele Frauen, die sagen: „Ich will zwar raus aus dieser Scheiße, aber nicht nach Hause. In der Zwangsprostitution verdienen ich 40 Euro im Monat, davon schicke ich 30 nach Hause, davon kann meine Familie überleben. In Moldawien kann ich nicht so viel verdienen.“ Für diese Frauen gibt es keine Hilfe – sie gelten als Prostituierte, werden eingesperrt, abgeschoben oder müssen zurück an die Bar. Als „echtes Opfer“ gilt nur, wer nach Hause will. Im Grunde geht es darum, die Grenzen dicht zu machen.

Ist es schwierig, mit Zwangsprostituierten zu reden?

Ja, ich habe mit zurückgekehrten Frauen in Moldawien gesprochen. Viele fürchten Öffentlichkeit, weil sie das, was sie erlebt haben, vor ihrer Familie verheimlichen oder Angst vor den Händlern haben. Außerdem müssen die Frauen in diesem Kreislauf, um zu überleben, sich passende Geschichten zurechtlegen. Wir haben von Journalisten gehört, die für so eine Geschichte hundert Euro auf den Tisch gelegt haben. Damit ist der Journalist in der Position des Freiers. Im Film erscheinen die Aussagen der Frauen nur als Schrift. Ich wollte nicht, dass sie als scheinbare Zeuginnen einer scheinbaren Authentizität missbraucht werden.

Die UNO müht sich, das Trafficking zu bekämpfen. Es gibt Razzien – und auch die Menschenrechtskommissarin Madeleine Rees, die klug die Lage analysiert.

Ja, aber gleichzeitig ist sie, als Counterpart, Teil dieser Struktur. Auch Rees gehört zu der Maschine, so wie die Hilfsorganisationen Teil der militärischen Logistik sind. Auch eine integere Menschenrechtskommissarin ist Teil der Imagearbeit der UNO. Es gibt ja Gründe, warum die UNO hierzulande als Organisation wahrgenommen wird, die sich um Menschenrechte sorgt – und nicht als Organisation, die am Aufbau falscher politischer und ökonomischer Strukturen beteiligt ist.

Die Razzien bringen faktisch wenig: Wenn eine Bar geschlossen wird, verlagert sich das Geschäft ins Motel. Die Razzien sind vor allem Aktionismus, um zu zeigen, dass die UNO etwas tut.

Es gibt also keine Lösung?

Nicht im Sinne eines Hilfsprogramms. Aber man kann vielleicht etwas lernen – betreffs der Rechtfertigung „humanitärer Kriege“.

Warum?

Weil die Legitimation der Kriege in Bosnien, Kosovo und Afghanistan mit Frauenrechten, die es mit Nato-Bomben zu verteidigien gilt, in Anbetracht des Traffickings noch zweifelhafter wird. Und zweitens: Offenbar glauben viele, dass, wenn die UNO dabei ist, die Sache mit den Menschenrechten schon in Ordnung gehen wird. So beruhigt man das eigene Gewissen. Die Wirklichkeit vor Ort ist viel komplexer.

Offenbar sind heute weniger Internationals in Bosnien und Kosovo Prostitutionskunden – und mehr Einheimische. War die UNO also doch erfolgreich?

Madeleine Reese sagt, dass man Trafficking mit dem Handy vergleichen kann. Am Anfang können es sich nur wenig leisten, doch wenn es die Infrastruktur gibt, wird es billiger. Die UNO hat sich in Bosnien letztes Jahr verabschiedet, und viele Kunden sind heute Einheimische. Aber die Strukturen hat erst die Nachfrage durch die Internationals geschaffen. INTERVIEW: STEFAN REINECKE