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: Die neuen Grenzen der Konservativen

Vielleicht wird der Ausschluss von Martin Hohmann aus der Unionsfraktion mal in den Geschichtsbüchern stehen: als Datum, an dem sich die CDU/CSU von ihrem rechtsextremen Rand verabschiedete. Denn dieser Ausschluss ist ein Symbol. Er gilt nicht nur Martin Hohmann, der 1953 wohl die Mitte des bürgerliche Lagers verkörpert hätte und 1973 den rechten Flügel der Union. Die Union trennt sich damit auch von einem Teil ihrer Geschichte. Sie ist dabei, die Stammtische mit dem Kanon historisch korrekten Bewusstseins zu beglücken. Ein später Triumph der Aufklärung, wenn man so will. Machtpolitisch möglich ist dies, weil der Stahlhelmflügel, einst durch Alfred Dregger verlässlich gusseisern repräsentiert, auch nicht mehr ist, was er mal war.

Angela Merkel hat all das formal perfekt über die Bühne gebracht. Dass es in der Fraktion 28 Gegenstimmen gab, ist kein Beinbruch – im Gegenteil. Misstrauisch gemacht hätte ein SED-Ergebnis.

Und doch wirkt sie wie eine Getriebene. Aktiv wurde sie erst unter dem lobenswerten Dauerbeschuss der konservativen Presse. Das schwächt ihre Position angesichts der Rebellion in der Partei. Ein Teil der Basis ist erwartungsgemäß empört darüber, dass man in Deutschland noch nicht mal mehr sagen darf, was sie für die Wahrheit hält.

Merkels Argumente klingen matt: Der Ausschluss nutze gerade den Nationalkonservativen in der Union, meint sie. Das ist ein rhetorischer Trick. Der Erfolg der Union verdankte sich stets auch der Fähigkeit, rechtsradikale Klientelen zu integrieren und die Grenze zwischen National-, Rechtskonservativen und Rechtsradikalen im Halbschatten zu lassen. Damit soll, zumindest wenn deutschnationale Geschichtsbegradigungen im Spiel sind, nun Schluss sein. Der rechte Flügel der Union ist seit gestern schwächer, nicht stärker.

In dieser Grenzmarkierung steckt zudem eine komplizierte Debatte. Hohmann gehört nicht mehr zur Union – was aber gehört dann zur Union? Die Frage, was das Konservative bedeutet, zielt ins Herz der Union. Diese Frage kann ebenso gefährlich werden wie der Zweifel, ob die SPD noch sozialdemokratisch ist, der die SPD-Basis derzeit in die Depression und aus den Wahlkabinen treibt. Identitätsfragen können, wenn sie den Weg aus den Gremien für Grundsatzprogramme in die Tagespolitik finden, zu Sprengstoff werden – gerade im postideologischen Zeitalter, in dem die Grenzen zwischen den Parteien verschwimmen. Anders gesagt: Bei der Union steht konservativ nur auf dem Klingelschild. Ihre Politik unterscheidet sich seit zwanzig Jahren wenig von dem pragmatischen Durchwursteln, das Schröder zu seinem Markenzeichen gemacht hat. So lange das nicht auffällt, geht es der Union gut.

Merkel steht nun, halb gewollt, halb gedrängt, für eine Rundumerneuerung der Union. Ökonomisch plädiert sie für einen rabiaten Neoliberalismus, politisch für die Trennung vom rechten Rand. Ein gewagtes Spiel. Merkel provoziert eine Debatte um das Selbstverständnis der Union. Stolpernd, nicht zielgerichtet.

STEFAN REINECKE