Ihre schönsten Jahre

Die filmreife Geschichte von vier jungen Männern, die es tatsächlich geschafft haben, sich erfolgreich selbstständig zu machen – als Drehbuchautoren

VON BIANCA KOPSCH

Einsam sitzt er vor seiner Schreibmaschine. Neben sich eine Tasse abgestandenen Kaffee und einen überfüllten Aschenbecher. Die Nachbarn haben schon längst die Lichter gelöscht. Er darf nicht schlafen. Vor seinen müden Augen leuchtet weiß und anklagend ein leeres Blatt Papier.

Es ist wie in einem Film: das Klischee des Autors bei der Arbeit. Leider auch in der Wirklichkeit. „Schreiben“, sagt Johann A. Brunners, „ist tatsächlich eine sehr einsame Angelegenheit.“ So ein Berufsleben wollte der 28-Jährige nicht.

Zwei Jahre hatten sie an der Berliner Filmhochschule DFFB miteinander studiert, sich gegenseitig ihre Geschichten vorgelesen, gemeinsam nach Ideen gesucht, deren dramaturgische Umsetzung diskutiert und sich dabei gut kennen gelernt. Im Jahr 2000 machten sie ihren Abschluss. Und dann sollte jeder allein dastehen? Jeder für sich auf dem Film- und Fernsehmarkt um die eigene Existenz kämpfen? Bei der schwierigen Wirtschaftslage? Zu hart, zu unkommunikativ, zu einfallslos. Vier Freunde schlossen sich zusammen und gaben sich einen Namen: Screenwriters Berlin.

In kreativen Berufen sind Festanstellungen zurzeit nicht zu erwarten, also nutzen viele die vom Staat geforderte und geförderte Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Für die Berliner Autoren offenbar kein Grund zum Verzagen.

„Die wirtschaftliche Depression spornt uns an“, sagt Martin Dolejs, mit 35 Jahren der älteste der Screenwriters. „Jammern nützt nichts! Jeder ist für sich selbst verantwortlich.“ Und in Skandinavien funktioniert es doch auch. Die Screenwriters Kopenhagen und die Screenwriters Stockholm haben schon vor vielen Jahren angefangen, in Autorenkollektiven zu arbeiten, sie schreiben im Dutzend

Vorbild Skandinavien

Eine Idee, die im individualistischen Deutschland kaum verbreitet ist. Hier arbeiten die meisten Autoren allein. Für einzelne Projekte schließen sie sich zwar mit anderen zusammen, arbeiten in Zweierteams, bilden informelle Netzwerke. Aber keine dauerhaften Gemeinschaften mit gemeinsamem Namen und Auftreten. Aus Angst, als einzelner Künstler hinter einem Kollektiv zu verschwinden und somit austauschbar zu werden. „Vielen ist auch die Auseinandersetzung zu anstrengend und das Risiko, eingeschränkt und bevormundet zu werden, zu hoch“, sagt Martin Dolejs. Aber es kann auch harmonieren.

„Wie eine Band, die zusammen ein Lied komponiert, entwickeln wir gemeinsam Drehbücher“, sagt der 31-jährige Michael Petrowitz. „Einer denkt sich die Melodie aus, ein anderer gibt den Takt vor, der Nächste schreibt die Lyrik. Ein guter Song ist meistens eine Gemeinschaftsproduktion.“

Das erste Werk der vier Lyriker heißt „Meine schönsten Jahre“, eine Fernsehserie, die derzeit freitags um 21.15 Uhr auf RTL ausgestrahlt wird. Offenbar weniger Zuschauer als erwartet verfolgen die lustigen Erlebnisse eines einst in der DDR aufgewachsenen Jugendlichen: RTL musste die Preise für Werbespots bereits um ein Drittel senken. Sowohl Konzept als auch Drehbücher stammen von den Screenwriters. Es mit einem selbst entwickelten Fernsehformat tatsächlich bis auf den Bildschirm zu schaffen, das ist für Berufsanfänger ganz und gar nicht alltäglich. Viele Jungautoren steigen erst einmal in bestehende Formate ein, schreiben Folgen für bereits laufende Serien.

Sofort eingekauft

Das Team hatte seine Kölner Auftraggeber früh überzeugt: Bei der Abschlusspräsentation an der Filmhochschule vor Produzenten und Redakteuren hatten die vier nicht nur ihre Drehbücher vorgestellt, sondern auch verkündet, dass sie von nun an zusammenarbeiten. „Viele fanden das ungewöhnlich, aber die Idee kam gut an“, erinnert sich Martin Dolejs. Vor allem dem Producer der Berliner Firma Phoenixfilm gefiel das neue Autorenkollektiv. Er machte ihnen ein Angebot: Sie sollten sich etwas zum Thema Jugend im Osten überlegen, eine Serie. „Normalerweise läuft es bei Neueinsteigern nicht so leicht“, sagt Dolejs. „Das hat uns in unserem Gemeinschaftsgedanken bestätigt.“

Vom Kollektivgedanken zur Kollektivproduktion. Sie tagten in einem Café in Prenzlauer Berg, denn ein gemeinsames Büro hatten und haben die Screenwriters nicht. Hier entwickelten sie die grobe Linie der Geschichte.

Als die Autoren schließlich den Auftrag bekamen, vier Folgen „Meine schönsten Jahre“ zu verfassen, teilten sie sich auf. Zwei schrieben, und die beiden anderen berieten. Die Consulting-Idee ist bei ihrer Zusammenarbeit das Wichtigste: „Zu viert kann man kein Drehbuch schreiben, das haben wir schnell festgestellt“, sagt Martin Dolejs. „Aber man kann sich dabei so beraten, dass man das Beste aus einer Geschichte herausholt.“

Also lektorieren sie gegenseitig ihre Texte und kritisieren die Schwachpunkte – manchmal hart, immer ehrlich. „Jeden Tritt, den wir uns selbst verpassen, bekommen wir nicht von außen“, fügt Dolejs hinzu. Bevor Redakteure oder Producer ein Skript von den Screenwriters bekommen, haben es die anderen schon gelesen. Die erste Hürde.

Wer einen gemeinsamen Auftrag schließlich bekommt und schreibt, entscheiden die Screenwriters je nachdem, wie es für ein Projekt am besten passt. „Meine schönsten Jahre“ schreiben die beiden Berliner Bunners und Petrowitz. Sie haben den Ostbezug: Bunners ist in Ostberlin aufgewachsen, Petrowitz im Westteil der Stadt, die Familie seines Vaters kommt aus Thüringen.

Ärgerlich finden die beiden anderen es nicht, dass ihre Kollegen als Autoren der Drehbücher namentlich im Fernsehen erscheinen und sie selbst sich lediglich in der Nennung „Konzept: Screenwriters Berlin“ wiederfinden. Diese erste erfolgreiche Gemeinschaftsproduktion nützt dem gesamten Team, davon ist der 31-jährige Spanier Carlos Berjano Calvo überzeugt: „Unser Name wird bekannt, daraus resultieren hoffentlich Folgeaufträge. Von denen haben dann wieder alle etwas.“

Finanziell profitieren im Moment in erster Linie zwei der vier von der Serie, denn eine gemeinsame Kasse hat das Autorenkollektiv nicht. Jeder wirtschaftet in die eigene Tasche. Das finanzielle Ungleichgewicht darf aber nicht zu groß werden, da sind sich alle einig: „Wir vermitteln uns auch gegenseitig Jobs“, erklärt Martin Dolejs. „Sachen, für die man selbst keine Zeit hat, Teile von Jobs, die man abgeben kann, bezahlte Lektorendienste und anderes.“

Das Geld teilen sie nicht

Damit sich jeder selbst finanzieren kann, arbeiten die vier an vielen verschiedenen Projekten gleichzeitig – mal im Kollektiv, mal allein. Denn die Entwicklungszeiten für Drehbücher sind oft sehr lang. Dreieinhalb Jahre hat es gedauert, bis die Idee der Ostserie als „Meine schönsten Jahre“ schließlich auf den Bildschirm kam. Von zehn derartigen Projekten werden meist nur ein oder zwei realisiert, erklären die Screenwriters. Der Markt ist unsicher. Die Geschmäcker von Fernsehmachern und Zuschauern ändern sich und somit auch die Formate, Sendeprofile, Programmziele. Und schon passen die Geschichten der Autoren nicht mehr.

„Man muss Spaß daran finden, den Stein immer wieder den Berg hinaufzurollen.“ Martin Dolejs grinst. Ein gut gelaunter Sisyphos. „Auch wenn ein Projekt nicht zustande kommt, muss man immer wieder an das nächste glauben. Immer wieder hinauf mit dem Stein!“

Gemeinsam geht es eben leichter. Vor allem wenn man nicht nur die Arbeit teilt, sondern auch den Humor.