ANSCHLAG IN ISTANBUL: ISRAEL UND DAS JUDENTUM SIND NICHT IDENTISCH
: Fataler Vorwurf Antisemitismus

Der Vorwurf bleibt im Raum. Am Samstag hatte Israels Außenminister Silvan Schalom „antiisrealische und antisemitische“ Stimmungen in „gewissen europäischen Hauptstädten“ für die Anschläge auf Synagogen in Istanbul verantwortlich gemacht. Am Montag zeigte er sich zwar positiv überrascht von der einhelligen Verurteilung der Attentate. Dafür forderte er nun, etwas moderater, von der Europäischen Union eine „ausgewogenere Haltung“ zum Nahostkonflikt. Mit dem, was er darunter versteht, dürfte er bei seinen Gesprächen mit EU-Außenministern am heutigen Tag jedoch wohl nur auf wenig Gegenliebe stoßen.

Schließlich geht es um die Frage, ob die harte Haltung der Regierung Scharon im Nahostkonflikt richtig ist. Der Affekt, jeder Kritik an der israelischen Politik mit dem Vorwurf des Antisemitismus zu begegnen, ist dabei wenig hilfreich. Denn damit setzen Hardliner wie Schalom ihr Land und dessen gegenwärtige Regierung mit dem gesamten Judentum gleich: der gleiche Kurzschluss, dem Antisemiten aller Couleur erliegen.

So war es auch fragwürdig, dass Schalom seine Reiseroute für einen Zwischenstopp in Istanbul änderte. Denn das Attentat galt türkischen Staatsbürgern gleich welchen Glaubens, und so wurde es in der Türkei auch gewertet. Durch seinen Auftritt am Unglücksort aber bestätigte der Minister die Absicht der Terroristen, den Zusammenhang ihres Anschlags mit dem Nahostkonflikt herzustellen.

Vielleicht muss man die Äußerungen des Außenministers aber auch eher in ihrem innenpolitischen Kontext sehen. Denn in Israel selbst bröckelt längst die Front der Scharon-Getreuen. So haben wichtige Stimmen aus Militär und Geheimdiensten in jüngster Zeit den Kurs ihrer Regierung ungewöhnlich scharf in Frage gestellt. Verständlich, dass sich Schalom in dieser Situation unter Druck fühlt. Sein Schulterschluss mit den jüdischen Gemeinden in Europa aber könnte da durchaus der Absicht entspringen, sich im Ausland jene Unterstützung einzuholen, die zu Hause im Schwinden begriffen scheint. Dafür den Antisemitismus zu instrumentalisieren ist allerdings fatal. DANIEL BAX