Die Lobby der Patienten

Karin Stötzner wird die erste Patientenbeauftragte Berlins. Eigentlich ist sie das schon seit 20 Jahren – als Sprecherin von 200 Selbsthilfegruppen

VON JOHANNES GERNERT

Der Ruf nach einer Lobby war laut. Seit Jahren schon. Irgendjemand musste doch den Patienten eine Stimme verleihen, damit sie den Ärzten etwas entgegnen konnten und den Krankenkassen. Auch den Gesetzgebern. Aber die politischen Verhältnisse, die waren nicht ganz so. Dann kam Rot-Grün im Bund – und Rot-Rot im Land Berlin. Es dauerte eine Weile. Und jetzt gibt es die Lobby, personalisiert und institutionalisiert zugleich gewissermaßen. Sie heißt Karin Stötzner. Sie ist Patientenbeauftragte – seit gestern im Amt. Die erste Patientenbeauftragte auf Länderebene. Die Bundesregierung hat vor einem knappen Jahr schon eine berufen.

Die Lobby sitzt an einem Tisch, sieht ein bisschen müde aus und erzählt, wie sie sich ihre neue Aufgabe vorstellt. Gehör möchte sie den Patienten verschaffen, sagt Karin Stötzner, „große Ohren haben“. „Wünsche, Erfahrungen, Hoffnungen“, vor allem auch Kritik will sie sich anhören. Das alles zusammenfassen, bündeln und darüber nachdenken, wie es sich in der Politik sinnvoll umsetzen lässt. Im Grunde hat Stötzner in den vergangenen 20 Jahren nichts anderes gemacht. Sie war eigentlich schon immer eine Patientenbeauftragte – nur ohne Titel und mit ein bisschen weniger öffentlicher Aufmerksamkeit.

Das ist wohl auch die wesentlichste Veränderung, die der neue Job mit sich bringt. Man wird ihr zuhören. Mehr werden ihr zuhören. Wenn Karin Stötzner von nun an etwas sagt, spricht nicht nur die Leiterin der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle Sekis, die fast 200 Berliner Selbsthilfegruppen vertritt, dann spricht auch die Patientenbeauftragte des Senats. Sie wird nichts anderes sagen, aber es wird ein bisschen schwerer wiegen.

Sie wird außerdem ein zweites Büro haben, bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. „Eine Andockstelle“ nennt es Heidi Knake-Werner, die PDS-Senatorin, die Stötzner berufen hat, „eine Schnittstelle zu Verwaltung und Politik“. „Wir sind stolz, dass wir dafür auch eine Vollzeitfrau haben, die die Arbeit begleitet“, fügt sie hinzu. Auch wenn die Patientenbeauftragte selbst keine Vollzeitfrau sein kann, weil dafür das Geld fehlt. Stötzner wird für die 40 Stunden bezahlt, die sie im Monat arbeitet. Hauptberuflich koordiniert sie weiterhin für Sekis die Arbeit der Selbsthilfegruppen. Außerdem engagiert sie sich in anderen Foren für Patientenrechte.

Die Doppelbelastung wird anstrengend werden. Sie ist froh, dass ihr 17 Jahre alter Sohn, den sie allein erzieht, schon ganz gut auf sich selbst aufpassen kann. Es wird einen Ansturm geben, wenn sich ab dem 15. November ihr Ohr der Öffentlichkeit öffnet. Wenn es erst einen festen Termin gibt für ihre Sprechstunden. Die Leute ärgern sich immer noch über die Gesundheitsreform. Sie wollen irgendwohin mit diesem Ärger. Auch wenn die Beauftragte keine Ombudsfrau sein soll, wie Knake-Werner warnt, kein „großer Kummerkasten für alle Gesundheitsprobleme, die es gibt“. Schließlich beruhe die Gesundheitsreform auf einem Bundesgesetz. Die Leute werden trotzdem anrufen, Briefe schicken, sich aufregen. Knake-Werner ahnt, was Stötzner bevorsteht: „Ich kriege diese Briefe ja auch.“

Karin Stötzner findet den Protest gar nicht so schlecht, weil er mobilisiert. Gesundheit ist jetzt ein Thema. Das ist auch eine Chance. Sie will sich für mehr Transparenz einsetzen. Die Betroffenen sollen erfahren, wofür sie ihr Geld ausgeben. Wenn der Patient immer mehr zum Kunden gemacht werde, indem er vor allem selbst bezahlt, dann müsse er auch besser informiert werden über die Qualität von Krankenhäusern, darüber, wo man Spezialisten findet, wer einen gut berät.

Als Karin Stötzners Berufung bekannt wurde, jubelte der Präsident der Berliner Ärztekammer: „Sie ist kompetent, erfahren, pragmatisch und weiß, wo die Probleme liegen.“ Stötzner hat bei Sekis viel mit Ärzten zu tun. Man arbeite gut zusammen, sagt sie. Vor allem wachse die Bereitschaft der Mediziner, „die Selbsthilfe als wichtiges Element im Behandlungsprozess anzuerkennen“. Mittlerweile schicken manche Ärzte ihre Patienten auch schon mal zu einer Selbsthilfeeinrichtung.

Sie freut sich über das Lob der Ärztekammer. Noch mehr, sagt sie dann, würde sie sich allerdings freuen, wenn solche Reaktionen auch von den Selbsthilfegruppen kämen. Sie überlegt kurz. „Aber das werden sie auch.“ Karin Stötzner ist zuversichtlich. Trotzdem weiß sie, dass sie aufpassen muss, dass sie eine „Mittlerinstanz“ bleibt. Dass sie zusätzlich aufpassen muss, dass das auch so wahrgenommen wird von den Verbänden. Man wird sie in ihrem neuen Amt vielleicht ein bisschen kritischer beobachten und darauf achten, für wen genau sie spricht. „Die Patientenorganisationen müssen eingebunden werden, wo es geht“, sagt sie.

Karin Stötzner ist in Frankfurt politisch groß geworden. Dort wurde sie 1951 geboren, und dort ist sie auch aufgewachsen – in Bornheim und Bockenheim. Sie hat Soziologie studiert. Hat mit anderen zusammen Frauenhäuser gegründet. Sponti-Kultur, Frankfurter Schule, Frauenbewegung. Das übliche Programm – damals. „Das war so, man war halt in irgendeiner Gruppe.“ Natürlich haben nicht alle mitgemacht. Und warum ausgerechnet sie? Sie beantwortet solche Fragen nicht gerne. Karin Stötzner, schwarze Lederjacke überm grünen Oberteil, redet nur widerwillig über Karin Stötzner. Dann schon lieber über die Patientenbeauftragte, über das Amt, nicht über die Person.

In den 70ern saß sie im Vorstand eines hessischen Netzwerks von Selbsthilfegruppen. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband hat sie Familien- und Flüchtlingsarbeit gemacht. 1985 kam sie nach Berlin, um die Stelle bei Sekis anzutreten. Das mit der Gesundheit und den Patienten hat sich so ergeben. Ein Job eben. „Es ist nicht so, dass mir mal ein Bein amputiert wurde und ich mich deswegen dann für Beinamputierte eingesetzt habe“, sagt Stötzner. Sie hat sich einfach so eingesetzt. Für Kranke, Suchtkranke, psychisch Kranke. Sie hat zugehört und dann überlegt, was man ändern müsste, dass es die Selbsthelfer besser haben. Sie hat versucht politischen Druck für solche Veränderungen zu schaffen. Das wurde nicht leichter, als Berlin, mit rund 2.000 Einrichtungen die Hauptstadt der Selbsthilfe, sich nach der Wende von einer fetten Insel in ein armes Bundesländchen verwandelte. Plötzlich war kaum noch Geld da, auch nicht für die Selbsthilfe.

Sie hat sich dadurch nicht entmutigen lassen. Zu ihrem Job gehört es, mit Rückschlägen umzugehen. „Das ist manchmal traurig“, sagt sie, „wenn Kooperationspartner wegsterben. Wenn etwa der Vorsitzende eines Vereins an Krebs stirbt. Dann sind wichtige Verbündete weg.“ Sie will nicht sentimental wirken: „Aber gut, das haben Ärzte auch.“

Karin Stötzners Vertrag läuft bis zum Ende der Legislaturperiode. Es ist nicht klar, was passieren würde, wenn dann die Landesregierung wechselt. Der Posten der Patientenbeauftragten könnte abgeschafft werden. Die Lobby wäre wieder verschwunden. „Es ist eine große Herausforderung, das so zu machen, dass das nicht einfach wieder gestrichen wird“, sagt die neue Amtsinhaberin.

Das Büro der Patientenbeauftragten ist erst ab 15. 11. erreichbar. Tel.: 90 28-20 10. E-Mail: patientenbeauftragte@sengsv.verwalt-berlin.de