Glanz und Unterwerfung

Vom Pornolook bis zur Hildegard-Hamm-Brücher-Bluse ist es auch nur eine Abweichung: Die Szene der Kunst- und Kulturwissenschaftler traf sich in Zürich, um das Phänomen des Glamour dingfest zu machen. Glamouröse Normen als Emanzipationsmöglichkeiten und Disziplinierungsinstrumente

Auch der Gegen-Glamour des Undergrounds braucht Wow-Effekte

VON EVA BEHRENDT

Die Zürcher Modemacherin Ida Gut erfasste die Lage mit einem Blick. „Hier hat ja wohl niemand Glamour“, sagte sie vom Schlusspodium herab und erschrak als höfliche Schweizerin kurz über ihre eigene Feststellung. Das Publikum aber lachte gutmütig. Wenn sich zwei Dutzend zumeist deutsche KulturwissenschaftlerInnen in der Bankenmetropole Zürich für drei Tage in einen fensterlosen Raum sperren (und sich dieser Raum obendrein in einem Theater befindet), um mit mehr oder minder spitzen Theoriebestecken ein so schillerndes und flüchtiges Phänomen wie Glamour zu sezieren – wer würde ernsthaft damit rechnen, dass sich im Dreieck zwischen Stehpult, Powerpointer und Zuschauerstühlen jener zauberische Glanz einstellt, der da gerade säuberlich in seinen ökonomischen und politischen, ästhetischen und religiösen Dimensionen vermessen wird?

Dass man über Glamour aber durchaus sprechen kann, ohne ihn kaputt oder herbeizureden, zeigte das Symposium „Aussehen, Auftreten, Abblitzen. Glamour als Arbeit und Wissen“, zu dem der Berliner Kulturwissenschaftler und Publizist Tom Holert im Rahmen eines „Doing Glamour“-Wochenendes im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee geladen hatte. Der Kongress stand zugleich am Ende der Ausstellung „The Future Has A Silver Lining“, die Holert gemeinsam mit der Direktorin Heike Munder am Migrosmuseum für Gegenwartskunst kuratiert hatte und die von Filmreihen und Veranstaltungen des Instituts für Theorie der Gestaltung und Kunst (ITH) flankiert wurde.

Während Ausstellung und Begleitveranstaltungen vor allem Kunstwerke präsentierten, die Glamour zitieren und als Macht- oder Verkaufsstrategie kritisieren, zielte das Symposium auf nichts Geringeres, als „ein zentrales ästhetisches Paradigma des Kapitalismus“ dingfest zu machen. Entsprechend trugen die Kunstwissenschaftler und Poptheoretiker aus dem Dunst- und Freundeskreis von Spex und Texte zur Kunst statt der Vogue meist Adorno, Kant und Walter Benjamin im Gepäck. Doch aus den Wolken, die sich zu einem Gewitter von Hollywood-Ressentiment, der Verachtung der guten alten Kulturindustrie oder auch nur des Massengeschmacks drohend zusammenschoben, regnete es spärlicher als erwartet.

Stattdessen stellte sich schnell heraus, dass Glamour seit jeher eine zweischneidige Angelegenheit ist. Das betrifft nicht nur die Etymologie des ursprünglich schottischen Wortes, das als „grammar“ einst die Regelwerke der katholischen Scholastik bezeichnete, bevor es im 16. Jahrhundert von protestantischen Propagandisten zur bösen Magie und Zauberkunst umgedeutet wurde. Sander L. Gilman, Kulturhistoriker der Schönheitschirurgie, zeigte etwa, wie eng Emanzipation und Unterwerfung miteinander verschränkt sind, wenn es um glamouröse Körper geht. Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich etliche deutsche Juden eine arische Normnase operieren – der steigende Assimilationsdruck im zunehmend antisemitischen Kaiserreich war die finstere Kehrseite der jüdischen Emanzipation.

Für Gilman, der sich später zärtlich mit einem eigens im Etui verstauten Kamm den freudianischen Vollbart kämmte, sind die medizinischen Eingriffe, die heute glamouröse Körper erschaffen und konservieren sollen, ähnlich ambivalent: Die Möglichkeit, sich selbst auch physisch gestalten zu lassen und zu vermarkten, lässt sich durchaus als individueller Freiheitsgewinn verbuchen, aber auch als fremdbestimmte Unterwerfung unter industriell lancierte Modediktate und Medienbilder. Aber vielleicht kann ja sogar die fleißige Anpassung an die glamouröse Norm, solange selbst entschieden, als emanzipatorischer Akt durchgehen?

Diese Vermutung unterstützte Marion von Ostens Analyse des „Woman Films“ in den USA der 30er-Jahre, der zufolge die noch junge Geschichte von Glamour immer auch mit seiner Demokratisierung zusammenhängt. Die Dozentin und Künstlerin entdeckte in Joan-Crawford-Filmen eine Erzählstruktur, die als charakteristisch für die Blütezeit der frühen Glamourproduktion in Hollywood vor dem Hintergrund einer neuen, weiblichen Angestelltenkultur gelten kann: Glamour wird dort als erlernbar und auch für kleine Fabrikarbeiterinnen verfügbar gezeigt. Mit etwas schauspielerischem Talent und Willenskraft kann er sogar zum Mittel sozialen Aufstiegs werden. Und auch wenn solche kleinen Täuschungsmanöver vorübergehend die echten und großen Gefühle gefährden, auch wenn am Ende der Karriere eine reaktionäre Geschlechterrollenverteilung winkt, ist Glamour hier doch Mittel und Ziel im amerikanischen Selbstverwirklichungstraum.

Den Vorgang der freiwilligen Selbstkontrolle bezeichnete Tom Holert, der über „die so genannte neoliberale Subjektivität“ sprach, mit Foucault als Effekt der Gouvernementalität: In Kontrollgesellschaften regieren sich die Subjekte selbst, sorgt jeder selbst dafür, dass er fit und begehrenswert, kurz: systemkompatibel bleibt. Da darf auf der Trainingsagenda die persönliche Glamourkompetenz nicht fehlen. Die aber weiß um eine entscheidende Besonderheit: Glamour braucht, auch wenn er immer wieder demokratisiert wird, den Schein der Exklusivität, also die Distanzierung vom Mainstream. So entglamourisiert etwa der Overload an geölten Unterwäschegirls, die in Musik-Videos zur Standardausrüstung gehören, den Pornolook beträchtlich. Mit dem Resultat, dass High-Fashion-Designer wie Marc Jacobs hoch geschlossene Hildegard-Hamm-Brücher-Blusen entwerfen.

Erfolgreiche Arbeit am Glam hat also nicht nur mit Erfüllung der Norm, sondern immer auch mit der Abweichung von ihr zu tun – und die kann, als Abgrenzung von hegemonialen Glamour-Modellen, durchaus als widerständige Praxis betrachtet werden. Diedrich Diederichsen betonte denn auch noch mal, dass Glamour nicht in der industriellen Massenkultur zu finden sei, sondern – obschon nicht minder käuflich – gerade in der Ausnahme davon: ein Grund dafür, dass sich Kunstwerke aller Genres zunehmend auf ein Starsystem beziehen oder gleich selbst den Status von Subjekten einnehmen. Schließlich zauberte der Distinktionsfetischist den „übellaunigen Arbeitslosen“ als zentrale zeitgenössische Glamour-Figur aus dem Zylinder: Nur er verkörpere – vorzugsweise in Berlin – jene zwischen Drohung und Verlockung oszillierende Genervtheit, die den wahren Glamour charakterisiere. Kein Zufall, dass er dabei selbst leicht genervt wirkte.

Andere Vorträge lappten ins esoterisch Verquatschte. DJ Eric D. Clark etwa wanderpredigte, ohne seine Ray Ban abzusetzen, den „inner glamour“ und gab sich „religiously glamourous“. Die Literaturwissenschaftlerin Brigitte Weingart (Bonn) und der Kunsthistoriker Sven Lütticken (Amsterdam) ritten lange auf Walter Benjamins Aura-Begriff und Adornos Mythos-Vorstellungen herum und demonstrierten unfreiwillig, dass das „ästhetische Paradigma“ Glamour eigentlich jederzeit durch andere Begriffe ersetzt werden kann.

Hat uns Glamour gerade noch gefehlt? Zumindest hilft seine Untersuchung dabei, stellvertretend bestimmte Prozesse nachzuvollziehen, die über Massenkultur hinausweisen. Die Faszination vom Gegenstand, das war auf dem Symposium deutlich zu spüren, entspringt in der Szene der Kunst- und Kulturwissenschaftler weniger dem heiß begehrten 80-Euro-Lippenstift von Dior oder dem Traum vom potenten BMW – auch wenn die ihrerseits durchaus gestylte Texte-zur-Kunst-Redakteurin Isabelle Graw von New Yorker Celebrity-Artists berichtete, die gleichzeitig als Model, Muse und „nicht mehr ganz ernst zu nehmende“ Künstlerinnen arbeiten.

Geliebt und verehrt wird hier jedoch meistens der (nicht immer) erschwinglichere Gegen-Glamour des Undergrounds, der, wie die Philosophin Gesa Ziemer und der Filmwissenschaftler Marc Siegel zeigten, auch gehandicapte oder queere Körperbilder zu integrieren versucht. Auch in der Sphäre des Gegen-Glamours wirken Inszenierungs-Imperative, Wow-Effekte und Ausschluss-Mechanismen. Übrig bleibt also das Glamourparadox als sozialer Januskopf: als Versprechen, über sich selbst hinauswachsen zu können – und als Disziplinierungsinstrument, das auch den Theorie-Konsumenten fest im Griff hält.