CDU und CSU giften sich weiter an

Streit der Schwesterparteien um die Sozialpolitik eskaliert. Stoiber wehrt sich gegen die heftige Kritik aus Berlin an seinem Rentenkonzept. Auch CSU-Vize Seehofer lässt nicht locker und nennt CDU-Vorschläge für Sozialreformen „Gift für unser Land“

aus München und BerlinJ. SCHALLENBERG
und L. WALLRAFF

Es kann so einfach und so schön sein. Gestern Mittag trat der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber vor die Presse und verkündete ein soeben von der CSU beschlossenes Rentenkonzept. Nichts anderes hatte er 24 Stunden zuvor schon einmal getan, dieses Mal aber musste er, und das ist der entscheidende Unterschied, keine heftige Kritik befürchten – nicht von den Medien, nicht von Rot-Grün, ja, auch nicht von der Schwesterpartei CDU. Denn das neue Konzept betrifft nur eine sehr kleine Gruppe der Bevölkerung, genauer gesagt die Mitglieder der bayerischen Landesregierung.

Staatssekretäre, Minister und der Ministerpräsident haben bei ihrem Ausscheiden aus dem Amt fortan erst mit 65 statt mit 60 Jahren Anspruch auf volle Ruhestandsbezüge. Wer schon früher in Rente geht, soll die gleichen Abschläge hinnehmen wie andere Arbeitnehmer. Das neue Modell, so verkündete Stoiber stolz, sei die „bundesweit schärfste Regelung“ zur Altersversorgung von Regierungsmitgliedern.

Die Begeisterung des Ministerpräsidenten über den eigenen Vorstoß legte sich allerdings schnell, als er zu den heftigen Reaktionen Stellung nehmen sollte, die das CSU-Papier zu den anstehenden Reformen im Bereich der Renten- und Sozialversicherungen vom Montag in den Reihen der Union ausgelöst hatte. So hatte das CDU-Präsidiumsmitglied Hildegard Müller Stoibers Pläne zur Entlastung von Familien mit Kindern im Hinblick auf Rentenbeiträge und die spätere Höhe der Rente als „Enteignungstatbestand“ gegeißelt, der de facto eine „Bestrafung von Kinderlosen“ darstelle. Familien müssten über das Steuer- und nicht über das Rentensystem gefördert werden. Mit ihrem Konzept treibe die CSU einen Spalt in die Bevölkerung, schimpfte Müller. Die CDU-Familienexpertin Katharina Reiche nannte die CSU-Pläne gar eine „Unverschämtheit“.

Stoiber wies alle Vorwürfe zurück: „Unser Konzept bedeutet keine Bestrafung von bestimmten Lebensentwürfen.“ Die Kritik von Müller und Reiche bezeichnete er als „Verbalradikalismus“, der einer sachlichen Diskussion schade. Statt solch eine „überzogene Sprache“ zu nutzen, sollten die Kritiker lieber bessere Alternativen vorlegen. Zudem verteidigte der CSU-Chef die Ablehnung einer steuerfinanzierten Reform der Renten- und Sozialversicherungen. Ein solches Vorgehen erscheint Stoiber so wenig verlässlich wie ein „ungedeckter Wechsel“. Diejenigen, die nun so harte Kritik übten, nähmen offenbar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Kenntnis, das ausdrücklich Erleichterungen für Beitragszahler der Sozialversicherungen angemahnt habe, sagte Stoiber.

Dass einige CDU-Ministerpräsidenten intern gemeckert haben sollen, Stoiber spiele allzu oft den Wortführer der Opposition, nahm der bayerische Regierungschef gelassen: „Bei mir hat sich niemand beschwert.“

CSU-Vize Horst Seehofer dagegen gab immerhin zu, er sei „schon etwas überrascht“ über die harten Angriffe aus der Schwesterpartei. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer hatte Seehofers anhaltende Kritik an dem Herzog’schen Gesundheitskonzept der CDU als „unerträglich“ bezeichnet und öffentlich in Frage gestellt, ob Seehofer noch als Sozialexperte für die gemeinsame Unionsfraktion sprechen dürfe. Seehofer ließ sich davon nicht beeindrucken und legte gestern noch mal nach. Die von der CDU vorgeschlagenen Zuschüsse zur Kopfprämie in der Krankenversicherung, Erziehungsjahre in der Rente und Erhöhung des Kindergeldes führten zu Steuererhöhungen, kritisierte Seehofer – „und das wäre Gift für unser Land“.