DIE DEMOKRATEN MÜSSEN IHRE STRATEGIEN ÜBERDENKEN
: Noch ist Amerika nicht verloren

Jenseits des Atlantiks werden viele nach dem deutlichen Wahlsieg Bushs den Glauben an die Urteilskraft der Amerikaner verlieren. Sie werden sich fassungslos fragen, wie es sein kann, dass ein Wahrheitsverdreher erster Güte, ein autoritärer, religiöser und starrsinniger Präsident, der einen unnötigen Krieg vom Zaun bricht, unfähig ist, Fehler einzugestehen, von seinem Volk eine zweite Amtszeit geradezu geschenkt bekommt. Der Fairness halber muss gesagt werden, dass rund die Hälfte der Amerikaner dies auch so empfindet. Die andere Hälfte schwört halt auf ihren Bush.

Dieser hat, glauben wir ersten Analysen, gewonnen, da ihm die Amerikaner einen klaren moralischen Kompass unterstellen und in ihm einen besseren Garanten für die nationale Sicherheit sehen. Er war offensichtlich überdies der bessere Wahlkämpfer, der dem Masterplan seines Beraters Karl Rove folgte und statt Wechselwähler die eigene konservative Basis umgarnte. Demgegenüber konnte John Kerry die Wähler nicht von seinen eigenen Qualitäten überzeugen. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung den Irakkrieg für falsch hält, das Land in die falsche Richtung driften sieht und der Wirtschaftssituation die Note „mangelhaft“ gibt und Kerry daraus kein politisches Kapital schlagen kann, dann hat er den Sessel im Weißen Haus nicht verdient. – Sorry, auch wenn man sich einen Sieg der Demokraten sehnlichst gewünscht hat.

Die Demokraten haben trotz einer historischen Anstrengung einfach ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie sollten die Oppositionszeit zur Reflexion und zum Neuanfang nutzen. Wie man das macht, haben ihnen die Neokonservativen in den 90er-Jahren vorgemacht. Bushs Sieg bedeutet nicht den Untergang des Abendlandes. Innenpolitisch steht zwar zu befürchten, dass er weiter Steuern senkt, Gesundheitswesen und Sozialversicherung privatisiert und weiter auf den Umweltschutz pfeift. Außenpolitisch könnte er sich jedoch zu einem Versöhnungskurs gezwungen sehen. Weder den Irak, Afghanistan noch Nordkorea stemmen die USA alleine. Zudem will Bush in die Geschichte eingehen. Er vergleicht sich gern mit Ronald Reagan. Dieser zeigte sich in seiner zweiten Amtszeit flexibel und versöhnlich. MICHAEL STRECK