Klare Sicht im Glaspalast

Die älteste Filmhochschule Deutschlands feiert ihr fünfzigjähriges Bestehen in Babelsberg. Klare Ausbildungsprofile und das Überstehen der Linientreue der DDR prägen ihre Geschichte

In Potsdam dominiert ein kritischer Blick auf die Welt und die Gesellschaft

VON ANNE KRAUME

Herbstliche Nebelfetzen hängen vor den Fassaden des Straßenzugs und verwischen den Blick auf die blinden Fenster. Die städtische Häuserreihe dieses kurzen Stücks Straße steht stumm und verlassen, nur wenige Passanten scharren im Vorbeigehen mit den Füßen durch die Laubhaufen. Der Nebel löst die Konturen der Häuser auf und lässt ihre Farben vergilbt erscheinen wie auf alten Fotografien, aber um wirklich ein gutes Fotomotiv abzugeben, müsste die kleine Stichstraße belebter sein.

Entsprechend rasch lassen die Passanten sie hinter sich, und beim Blick zurück sehen sie schon nicht mehr die scheinbar fest gemauerten Fassaden, sondern nur noch die massiven Stahlstreben, die die flache Straßenkulisse von hinten stützen, und deren rötliche Rostschutzfarbe seltsam klar durch den nebligen Morgen leuchtet.

Die Fassade der Hochschule für Film und Fernsehen wenige Schritte weiter ist dagegen durchlässig, offen, einsichtig – eine gewaltige Glasfront, durch die man von außen hineinsehen kann in das hohe Foyer aus Beton und Luft, und durch die man von innen hinaussehen kann auf die Kulissen des Filmparks Babelsberg. Viel leerer Raum zwischen den Stehtischen der Cafeteria auf der einen und der Bibliothek auf der anderen Seite des Foyers gibt den Blick frei auf die Treppen und Brücken, die in den oberen Stockwerken die verschiedenen Gebäudeteile miteinander verbinden.

Unten sammeln sich Studenten in Lederjacken und Jeans um die Stehtische, denen man die Kreativität schon von weitem ansieht. Mittags gibt’s hier Couscous mit Gemüse oder Hähnchenbrust, nachdem sich der Nebel draußen verzogen hat, fällt das Licht durch die Glasfassade, und zur Essenszeit ist das Rauchen verboten.

Inzwischen ist es vier Jahre her, dass Deutschlands älteste Filmhochschule den Glaspalast auf dem Filmgelände in Babelsberg bezogen hat, in dem zum ersten Mal in ihrer Geschichte alle Fachrichtungen unter einem Dach vereint sind. Als sie vor fünfzig Jahren unter dem Namen „Deutsche Hochschule für Filmkunst“ gegründet wurde, residierte man noch im Schloss Babelsberg. Hier, in der ehemaligen Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm I. am Griebnitzsee, und in den umliegenden Villen sollte der neue Filmnachwuchs der DDR ausgebildet werden.

Ungefähr 3.500 Absolventen hat es in den vergangenen fünfzig Jahren gegeben, und der Geburtstag ist nun eine Gelegenheit, sich daran zu erinnern, wie man 1954 angetreten ist, und sich auf die Traditionen zu besinnen. „Natürlich gab es damals ideologische Gründe für die Gründung der Hochschule“, sagt Professor Hans Hattop, der selbst zu DDR-Zeiten an der HFF studiert hat und der heute ihr Vizepräsident ist: „Man wollte sehr bewusst einen sozialistischen Filmnachwuchs und eine entsprechende Ästhetik fördern.“

Trotzdem war die Hochschule, die nach dem Mauerbau 1961 unmittelbar an der Zonengrenze lag, lange Zeit eine Art Insel im parteigesteuerten Kulturbetrieb der DDR. In den Vorführsälen konnte man noch Westfilme sehen, während unten vor den Fenstern schon die Volksarmisten die Grenze bewachten; und trotz des im Lehrplan vorgeschriebenen Unterrichts in Marxismus-Leninismus gab es immer Studenten und Dozenten, die sich gegen den Druck von oben zur Wehr setzten, indem sie zum Beispiel in ihren Filmen die Kulturpolitik satirisch aufs Korn nahmen.

Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache, dass die Filmhochschule 1968 zur Hochschule für Film und Fernsehen erweitert wird, auch als Einflussnahme von oben zu verstehen: Wer auch für das Fernsehen produziert, muss nicht mehr nur künstlerischen Ansprüchen genügen, sondern auch „sendefähig“, und das heißt linientreu sein.

Weil die Qualität der Ausbildung aber nie unter dem ideologischen Überbau gelitten hat, bestand die HFF nach 1989 als einzige Hochschule im Land Brandenburg fort: In den Jahren vor der Wende war Lothar Bisky Rektor gewesen, und die Studenten hatten immer wieder von der Liberalität dieser Hochschulleitung profitiert – beispielsweise, indem sie als erste Filmteams überhaupt Aufnahmen während des Friedensgebets in der Nicolaikirche in Leipzig machen konnten. Mit der Einheit kamen neue Studieninhalte wie die Fachrichtungen Animation oder Medienwissenschaft hinzu, und die Konkurrenz zu anderen Hochschulen wie München oder Berlin half, das eigene Profil zu schärfen.

„Wir haben eine andere Orientierung als die anderen deutschen Hochschulen, die den Schwerpunkt entweder nur auf die Regie legen oder die Studenten zu Allround-Filmemachern ausbilden“, sagt Hans Hattop dazu. „Bei uns ist das Studium auf unterschiedliche und klar definierte Berufe zugeschnitten. Man studiert entweder Kamera oder Regie oder Produktion, und man wird dann entweder Kameramann oder Regisseur oder Produzent.“

Trotzdem habe man natürlich immer auch die Möglichkeit, Kontakte zu jeweils anderen Fachrichtungen zu knüpfen: „Dass die HFF eine Plattform für solche Kontakte ist, auf die man auch später immer wieder zurückgreifen kann, das ist der große Vorteil hier!“, bemerkt Yoliswa, die im elften Semester Kamera studiert und die gerade in der Cafeteria auf einen dieser Kontakte wartet.

Dr. Elizabeth Prommer lehrt Medienwissenschaft an der HFF und ist von der Münchner Hochschule nach Babelsberg gekommen. Im Vergleich stellt sie vor allem einen Unterschied fest: Während man München ja nachsage, dass die Ausrichtung dort kommerzieller sei, dominiere in Potsdam ein kritischer Blick auf die Welt und vor allem auf die Gesellschaft: „Und das kann man schon auf die historische Entwicklung zurückführen und darauf, dass vor allem der Umbruch in den Jahren um die Wende sehr bewusst erlebt wurde“, findet sie.

Die Studenten in Elizabeth Prommers Seminar zur Publikumsforschung wissen außerdem auch noch etwas anderes zu schätzen: die räumliche Nähe zum Produktionsgelände im Filmpark Babelsberg. „Allein der Name Babelsberg hat über die Grenzen Deutschlands hinaus einen guten Klang!“, sagt etwa Silvio. Und tatsächlich haben nicht wenige Absolventen den Glaspalast der Hochschule zugunsten der herbstlichen Kulissen verlassen, die auf der anderen Straßenseite warten.