Herz der Wirtschaft erzittert

Bomben treffen auch boomende Stadtteile Istanbuls. Börse wird geschlossen. Kursstürze weltweit

Nicht in Ankara werden die Geschäfte gemacht, sondern am Bosporus

BERLIN/ISTANBUL taz ■ Die Bomben von Istanbul haben auch die europäischen Aktienmärkte getroffen. Vor allem Versicherungspapiere verloren, aber auch Touristik- und Luftfahrtaktien machten ein Minus von teilweise bis zu 5 Prozent. Die britischen und deutschen Aktienindizes verloren ebenso wie der Eurozonen-Index Eurostoxx 50. In Istanbul selbst wurde die Börse gestern geschlossen. Zuvor war der nationale Index um 7,4 Prozent abgestürzt.

„Terroranschläge sind Gift für die Wirtschaft“, sagte ein Börsianer in Frankfurt am Main. Uwe Angenstedt von der ING BHF Bank meinte, dass „allein die Angst vor Anschlägen an den Finanzmärkten zu höheren Risikoprämien führt.“ Das belaste Wirtschaft und Verbraucher. Zwei Analysten anderer Banken warnten hingegen davor, die Anschläge überzubewerten: „Das sind Nachrichten für Märkte, die nach Nachrichten hungrig sind.“ Derzeit gebe es weltweit einen langsamen Stimmungsaufschwung, und der sei verlässlich. Andreas Rees von der Hypo-Vereinsbank sagte, er könne nicht sehen, dass die Anschläge „die Weltwirtschaft davon abhalten, weiter zuzulegen.“

Auch die Reiseveranstalter versuchten zu beruhigen. Der Deutsche Reisebüro- und Reiseveranstalterverband (DRV) in Berlin erwartet keine großen Rückgänge im Türkeigeschäft. „Wir sind zuversichtlich“, sagte Sprecher Christian Boergen. Auch nach den Anschlägen auf Istanbuler Synagogen habe es nur wenige Umbuchungen gegeben. In der Türkei sei ohnehin Nebensaison.

Der schwächelnde Tourismussektor ist derzeit aber nicht das Hauptproblem in der Türkei. Die Anschläge in den europäischen Vierteln Levent und Beyoglu haben das Herz der türkischen Wirtschaftsmetropole getroffen. In Levent sitzt die türkische Börse, es gibt eine U-Bahn und viele neue Wolkenkratzer. Die großen Banken, Versicherungen und Dienstleister haben sich hier im Nordwesten der Stadt auf einer großen Achse niedergelassen, darunter auch die britische Investmentbank HSBC, das eine Ziel der Attentäter.

Nicht in der Hauptstadt Ankara werden in der Türkei die Geschäfte gemacht, sondern am Bosporus. Das zeigen schon die Steuereinnahmen. Fast 42 Prozent davon erzielt der türkische Staat in der 10-Millionen-Stadt. Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf durchschnittlich unter 3.000 Dollar liegt, beträgt es in Istanbul über 4.000 Dollar. Ein Großteil der Exporte und der Importe laufen über die Metropole mit ihrem natürlichen Hafen. Nicht nur die Zentralen der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften haben hier ihren Sitz, auch die meisten Zeitungen und Fernsehsender.

Obwohl Beyoglu, wo sich das britische Generalkonsulat und die Synagoge Neve Schalom befinden, keine Wolkenkratzer beherbergt und Teil der Istanbuler Altstadt ist, ist das Viertel Schauplatz wichtiger Wirtschaftsaktivitäten. Viele Banken eröffneten hier in repräsentativen Gebäuden Kulturzentren. Beyoglu entwickelte sich im vergangenen Jahrzehnt zum kulturellen Zentrum und zum Touristenviertel. Traditionelle Märkte – wie der Fischmarkt unmittelbar am britischen Generalkonsulat –, Kneipen und Vergnügungszentren finden sich hier. DAS/OE