Jim Morrisons Enkelinnen

Lass den Schmerz durch dich hindurchwandern: „Cobra Killer“ aus Berlin sind jetzt auf Tournee

von Christoph Braun

Ach, Problemkinder. In der Hauptstadt sieht man sie sowieso ständig und schon immer. Die Verweigerer-Mythen Westberlins werden gerade publikumswirksam aufgeschrieben, siehe Herr Lehmann und Konsorten. Der letzte Iro ist vergangene Woche auf einer Feier in Mitte wegrasiert worden. Wahrscheinlich gab es Absolut Wodka und Bahlsen Erdnussflips.

Doch der Problemkind-Chic ist weiterhin nicht wegzukriegen, womit wir bei Cobra Killer wären. Der neue Stil ist teurer erarbeitet als das bisschen „Weg von Mama“ und „Wir sollten jetzt echt noch mal retrospektiv die subversiven Potentiale von Punk diskutieren“-Gehabe. Mit ziemlicher Sicherheit tragen Annika Line Trost und Gina V. D‘Orio blasse Haut, denn darin besteht der neue Berliner Schick: Man sieht wieder aus wie ein Heroin-Junkie. Man trifft sie überall, die Farbe Schwarz, die ausgewachsene Popper-Frisur („Blixa Bargeld heute“), die kaputten Hosen / Strumpfhosen, die knallige Schminke. Nach den leeren Räumen der 90er dürfen Bars und Clubs jetzt wieder zugeschmissen sein mit Interieur, solange der Ramsch gammelt. Um anzudeuten, dass man den Ernst der Welt erkennt, nennt man diese Clubs dann „White Trash“, „Mudd Club“ oder „Bad Kleinen“. Das Kaputte dient hier als Trampolin der Verschwendung. Kaputt kann man eh nichts mehr machen, der Raum ist kaputt und die Hose ist kaputt.

Cobra Killer machen den Soundtrack dazu. Ihre erste Platte erschien vor sechs Jahren auf Digital Hardcore Recordings, das Label alleine bedeutet Krach, Rauschen, die Mittelfinger-Geste. Nach einem weiteren Album auf dem neuseeländischen Label Valve sind sie nun bei Gudrun Gut gelandet: Die Ocean Club-DJane und -Moderatorin betreibt das bisher für Melancholie und Feinheiten berühmte Monika Enterprise. Wie ein gellender Schrei stören Cobra Killer mit der LP 76/77 die Ruhe von Monikas Komeït, Contriva und Barbara Morgenstern.

„Let’s Have A Problem“, rufen Trost und D‘Orio gleich im ersten Song. Dazu wird, beinahe wie in einer klassischen Ouvertüre, das musikalische Vorgehen der Platte durchskizziert: ein hüpfender Gummibass, ein Solo aus Gitarrenlärm, digitale Schlagzeugprogrammierung mit Handklatschen, Beeps. Wie ein Poprefrain hakt sich der dauerhaft wiederholte Claim vom Problemwunsch ins Ohr.

Diese Bestandteile werden auf 76/77 durchvariiert und summieren sich zu einem Electrotrashpop im Geiste des Garage Rock’n’Roll. Tatsächlich scheinen es Cobra Killer ernst zu meinen, wenn sie von sich behaupten, mit ihrer Musik heilen zu wollen. Wie Schamaninnen taumeln und fallen Annika Line Trost und Gina V. D‘Orio auf der Bühne herum, stoßen sich, tun sich weh. Schließlich schütten sie Rotwein über sich und über das Publikum und singen dazu „I Like It When It Burns A Bit“ oder „Stecker raus, ich dreh’ durch“.

Erst also den ganzen Schmerz aufnehmen und durch sich hindurchwandern lassen, um dann nach der Droge suchen, die ihn lindert. Seit Jim Morrison hat man so etwas nicht mehr für möglich gehalten. Für nötig auch nicht. Doch Cobra Killer wirken sehr ernsthaft auf der Bühne, und wahrscheinlich macht es auch einfach einen Riesenspaß, sich jeden Abend so zu besudeln. Sei es in Wellington, New York oder Bremen.

Heilen: So etwas zu sagen und dann auch noch zu tun, lässt auf einen Trübsinn schließen, der tiefer sitzt als bei allen Bands wie Contriva und Komeïts zusammen.

Wo die sich die Bedrückung wegspielen mit ihren Moll-Akkorden, stecken Cobra Killer tief im Moll drin, schon immer und hoffnungslos. Wie die White Trashis um sie herum wirken sie in ihrer lauten Manie gefährdet, weswegen das Versprechen der Heilung den beiden selbst gilt.

Problemkinder halt. Wer kann, herze sie ein wenig.

10. November, 20.30 Uhr, Güterbahnhof Tor 48, Bremen; 12. November, 21 Uhr, Weltbühne, Hamburg