Dioxinverdacht und kein Ende

Nordrhein-Westfalens grüne Landwirtschaftsministerin Höhn lässt weiteren Hof im Münsterland sperren. Belastung von Fleisch und Pommes weiter unklar: Ergebnisse frühestens Ende der Woche

VON ANDREAS WYPUTTA

Der Skandal um das Seveso-Gift Dioxin in Lebensmitteln weitet sich aus: Gestern ließ das nordrhein-westfälische Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz einen weiteren Bauernhof im Kreis Borken vorsorglich sperren. Der Betrieb habe möglicherweise Futtermittel aus den Niederlanden verwandt, das mit dem hochgradig krebserregenden Dioxin belastet sei, so Ministeriumssprecher Leo Bosten.

Auch die Niederlande sperrten 77 weitere Höfe. Damit gelten europaweit mindestens 240 landwirtschaftliche Betriebe als belastet, davon fünf in Nordrhein-Westfalen: In den Niederlanden sind mittlerweile 197 und in Belgien acht Höfe gesperrt, hinzu kommen 30 Schweinemastbetriebe in Bayern, die unter Beobachtung stehen – es handele sich lediglich um einen Verdacht, hieß es in München zur Begründung.

Ausgelöst wurde der Skandal durch dioxinverseuchte Kaolinit-Tonerde aus Rheinland-Pfalz, die in einer Fabrik des kanadischen Pommes Frites-Herstellers McCain im niederländischen Lelystad zur Sortierung der Kartoffeln verwendet wurde: In einem Kaolinitbad sinken Kartoffeln mit hohem Stärkeanteil ab und werden zu Lebensmitteln weiterverarbeitet, weniger geeignete wandern in die Futtermittelproduktion. Nach Angaben des NRW-Landwirtschaftsministerium wies die bis vor einer Woche von McCain verwandte Tonerde 910 Nanogramm Dioxin je Kilogramm auf – der erlaubte Grenzwert liegt bei 0,75 Nanogramm. Dabei soll das Gift natürlicher Herkunft sein: Es könnte durch urgeschichtliche Brände entstanden sein.

Unklar blieb auch gestern, welche Lebensmittel wie stark belastet sind: Die vom NRW-Landwirtschaftsministerium in Aufrag gegebene Untersuchung des belasteten Futtermittels läuft noch. „Dioxin-Untersuchungen sind sehr aufwändig. Mit Ergebnissen ist Ende dieser oder Anfang nächster Woche zu rechnen“, so NRW-Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Bärbel Höhn (Grüne) zur taz. Deutliche Kritik übt Höhn an der Informationspolitik des niederländischen Agrarministers Jan Veerman, der gegenüber niederländischen Medien bereits am Freitag von „leicht erhöhten“ Dioxin-Konzentrationen in tiefgekühlten Pommes Frites berichtet hatte. Offiziell liegen aber weder dem Bundesministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz noch Höhn Ergebnisse aus Den Haag vor – Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) wolle deshalb den Druck auf Veerman erhöhen, war in Berlin zu hören. „Ich unterstütze die Kollegin Künast in ihrer Forderung an die Niederlande, uns die Testergebnisse möglichst schnell mitzuteilen“, mahnt auch Höhn.

Ebenfalls unklar ist auch der Verbleib des Fleisches von zwölf Bullen, die noch am 3. Oktober von einem Hof im münsterländischen Schöppingen nach Bayern geliefert wurden. Die Tiere sind mittlerweile geschlachtet und teilweise weiterverkauft. Ob das Fleisch der fünf mittlerweile gesperrten Bullenmastbetriebe in Nordrhein-Westfalen dioxinbelastet ist, wird sich frühestens in zehn Tagen herausstellen – dann gelten die Bullen als schlachtreif und können getestet werden.

Künast und Höhn erneuerten ihre Forderung nach einer EU-weit gültigen so genannten „Positivliste“ für Tierfutter. In der soll nach Vorstellung der beiden grünen Politikerinnen festgeschrieben werden, welche Stoffe verfüttert werden dürfen. „Kaolinit wäre nie auf eine solche Liste und damit ins Futter gelangt“, bekräftigt Höhn. Auch Bundesverbraucherschutzministerin Künast werde sich bei ihrem Antrittsbesuch bei der neuen EU-Kommission noch einmal für eine solche Positivliste stark machen, versichert Sprecherin Marie-Luise Dittmar – im Jahr 1999 war ein entsprechender Vorstoß am Widerstand der europäischen Ebene gescheitert. Unterstützt werden Künast und Höhn hierbei von Verbraucherschützern und konventionell orientierten Bauernverbänden: Der westfälisch-lippische Bauernpräsident Franz-Josef Möllers forderte die Schließung aller Schlupflöcher im Futtermittelhandel: „Jede Initiative in diese Richtung unterstützen wir.“