Ruhestätte im Ruinenfeld

Am Amtssitz des Verstorbenen in Ramallah wird die Beerdigung Arafats vorbereitet. Das Gelände ist vom Krieg gezeichnet

AUS RAMALLAH SUSANNE KNAUL

Mohammad steht mit seinen Freunden auf einem Jeep, der neben der Muqataa, dem Amtssitz Arafats in Ramallah, parkt. Er guckt über den Zaun, um die Bauarbeiten für Jassir Arafats Mausoleum zu beobachten. „Dort hinten an der Wand wird das Grab sein“, erklärt der 18-Jährige und deutet mit dem Finger auf einen Schaufelbagger, der eben eine neue Ladung kleiner weißer Steinchen bringt.

„Er war ein guter Mann“, meinen die jungen Männer einstimmig. Sie kommen dann aber doch ins Nachdenken darüber, was genau der Palästinenserpräsident eigentlich Besonderes geleistet hat. „Wir haben einen Staat, oder wenigstens fast“, fällt Mohammad ein, „eine Nationalflagge und Botschaften.“ Dass „die Welt auf uns aufmerksam geworden ist“, sei Arafat zu verdanken. Von den Vorwürfen der Veruntreuung öffentlicher Gelder will der 18-Jährige nichts wissen. „Das waren andere Leute in der Regierung.“ Am Todestag des Präsidenten will niemand ein schlechtes Wort über ihn fallen lassen.

Hinter der etwa drei Meter hohen Mauer, bestückt mit Zaun und Stacheldraht, wird auf dem Platz, auf dem bislang Autos geparkt hatten, Sand angekarrt, der angeblich extra aus Jerusalem gebracht wurde. Die Umgebung ist kaum mit dem Tempelberg zu vergleichen, dem Ort, den sich Arafat selbst als letzte Ruhestätte wünschte und an den seine sterblichen Überreste, sobald es die politische Lage erlaubt, letztendlich auch gebracht werden sollen.

Der Platz des künftigen, wenngleich nur temporären Mausoleums ist arm und vernachlässigt. Weder Baum noch Strauch, nur Schotter und Teer. Hinter einer unverputzten Mauer steht ein einfacher weißer Flachbau, auf dem mehrere Wassercontainer aus Plastik angebracht sind. Etwas weiter weg die Ruinen der Muqataa, von Arafats Regierungshauptquartier stehen nach den israelischen Bombardierungen gerade noch zwei Gebäude. Schotterberge und mit Beton gefüllte Blechtonnen erinnern an die früheren Gefechte.

Schon am Morgen sperren die Polizisten die Zufahrtsstraßen. Vor dem Haupttor entstehen Holzgerüste, auf denen die Fernsehkameras postiert werden, wenn die Beerdigung am Nachmittag beginnt.

Dutzende Journalisten lauern vor der Muqataa, sie hoffen darauf, einen Politiker abzufangen. Vor sie hat sich eine Gruppe verschleierter Frauen postiert, die zum Teil stehend, zum Teil auf der Erde sitzend unter Tränen mit Sprechgesang um den Verstorbenen trauern. Ein vielleicht achtjähriger Junge hält die Tageszeitung Al-Quds auf seinen Knien und besieht sich das ganzseitige Bild Arafats.

Überall tauchen die druckfrischen Plakate mit dem Bild Arafats auf: an der Mauer vor der Muqataa, an geschlossenen Ladentüren und an jedem zweiten Auto. Auf einer relativ aktuellen Großaufnahme lächelt Arafat in die Kamera, auf anderen Bildern legt er die Hand zum militärischen Gruß an die Stirn oder steht in einer Collage vor dem Tempelberg. Ein paar Soldaten haben das Bild des Verstorbenen mit schwarzen Klebestreifen an ihren Quartieren angebracht.

Auf der anderen Seite des Geländes probt die Leibgarde des Präsidenten „Force 17“ die Ehrengarde, für „all die berühmten Leute, die zur Beerdigung kommen“, wie ein Passant erklärt. Die Unterkünfte der Eliteeinheit sind seit den Bombardierungen unverändert. Die komplette Vorderfront eines Gebäudes ist zusammengebrochen, dicke Eisendrähte, an denen Betonblöcke frei in der Luft hängen, stechen aus den Wänden heraus. Eine Wand, an die jemand den Tempelberg malte, blieb erhalten, daneben eine Plastikleine, auf der Socken und ein T-Shirt zum Trocknen hängen. Die Soldaten haben die halben Zimmer zu Balkons umfunktioniert. Auf einem stehen eine alte Badewanne und ein Plastikeimer. Über dem unbeschädigten Verwaltungshaus, in dem Arafat in den vergangenen Jahren seine Geschäfte tätigte, hängen zwei kleine Flaggen auf Halbmast. Aus dem Gebäude dröhnen per Lautsprecher Gebete für den Toten.

Seit den frühen Morgenstunden treffen trauernde Palästinenser ein. Die Mitarbeiter der Autonomiebehörde werden eingelassen. „Wir gehen in sein Zimmer nur um für ein paar Minuten dort zu sitzen“, sagt eine Angehörige des Innenministeriums. „Wir haben unseren Führer, unseren Vater verloren.“

Als die Sitzungen der neuen politischen Führung beginnen, darf niemand mehr durch. Arafats Stuhl bleibt weiterhin leer, wobei das Nachfolgeprozedere problemlos über die Bühne zu gehen scheint. Es wird eine Art Triumvirat geben mit Parlamentspräsident Rauhi Fattuh als Interimspräsident – wobei die Palästinenser die Bezeichnung „Vorsitzender der Autonomiebehörde“ bevorzugen. Mahmud Abbas wird Arafats Nachfolger als PLO-Chef, und Ahmed Kurei versieht den Dienst als als Premierminister. Fattuh, ein eher unbeschriebenes Blatt in der palästinensischen Politik, übernimmt die offizielle Nachfolge für 60 Tage. In dieser Zeit sollen Wahlen stattfinden.

Über der Stadt hängen dunkle Rauchwolken. Brennende Autoreifen verbreiten einen beißenden Gestank. Vom Al-Manara-Platz zieht in den Mittagsstunden die erste Demonstration in Richtung Muqataa. Vertreten ist vor allem die „Schabiba“, die Fatach-Jugend. Die jungen Männer gehen ruhig vorbei an geschlossenen Ladenfronten. Von dem geschäftigen Treiben am Vortag ist im Stadtzentrum nichts mehr zu verspüren. Nur ein kleiner Handverkäufer handelt mit schwarzweißen Stirnbändern und Schlüsselanhängern mit dem Bild des verstorbenen Palästinenserführers Jassir Arafat.