„Die Kräfte bündeln“

Die Tafeln in Niedersachsen und Bremen haben einen Landesverband gegründet – den vierten bundesweit. Finanzielle Nöte hätten bei der Entscheidung keine Rolle gespielt, sagt die Vorsitzende Edeltraut Graeßner

Falsch etikettierter Apfelsaft oder unschönes Gemüse – was dem deutschen Verbraucher nicht zuzumuten ist, wird vielerorts von den Tafeln eingesammelt. Seit 1993 wollen sie „eine Brücke zwischen Überfluss und Armut“ schlagen und versorgen Bedürftige mit Lebensmitteln, die Supermärkte oder Privatleute spenden. Dachorganisation von mittlerweile über 800 Standorten ist der Bundesverband Deutsche Tafel e. V. Insgesamt gibt es vier Landesverbände, mit Niedersachsen und Bremen nun den ersten im Norden. Hier nehmen etwa 100.000 Menschen den Dienst der Tafeln Anspruch, bundesweit sind es eine Million.  MIC

taz: Frau Graeßner, warum haben die Tafeln aus Niedersachsen und Bremen einen Landesverband gegründet?

Edeltraut Graeßner: Wir möchten den Tafeln eine gemeinsame Stimme mit gewählten Repräsentanten geben. Das erleichtert die Kommunikation mit Lieferanten und Sponsoren. Wir wollen Kräfte bündeln und werden in Zukunft gemeinsame Fahrzeuge nutzen und größere Lager einrichten. Zusätzlich haben wir nun eine juristische Person geschaffen, was zum Beispiel finanzielle Transfers einfacher macht. Vorher wurde alles über die Bundeszentrale in Berlin abgewickelt. Wenn es etwa um die Verteilung von Strafgeldern geht, die gemeinnützigen Organisationen gespendet werden sollen, hat der Landesverband nun auch stärkeres Gewicht.

Gab auch die gestiegene Zahl der Bedürftigen den Ausschlag?

Nein. Der Landesverband ist schon seit vier Jahren in Planung. Die Lage ist hier in Niedersachsen noch relativ entspannt, wir haben viele lokale Supermärkte und andere Sponsoren, die die einzelnen Tafeln vor Ort beliefern. Das ist in Sachsen anders. Der dortige Landesverband wurde unter anderem deswegen gegründet, um auf Landesebene einfacher Lebensmittel und Spenden beziehen und diese an schlecht versorgte Tafeln vor Ort verteilen zu können.

Wie wird die Bedürftigkeit der Menschen ermittelt?

Wir prüfen das anhand von Einkommens- oder Arbeitslosengeld-Bescheiden. Vielerorts können wir aber nicht alle Bedürftigen versorgen. In Ostdeutschland wird teilweise per Losverfahren entschieden.

Sind die Tafeln finanziell selbst bedürftig?

Im Moment haben wir nur vereinzelt Rückgänge bei den Geldspenden. Aber wir müssen damit rechnen, dass das bald überall passiert. Bei der Planung des Landesverbandes spielte der finanzielle Aspekt keine Rolle. Ob wir überhaupt Kosten sparen, wird sich erst zeigen.

Gehören alle 93 Tafeln in Niedersachsen und Bremen zum neuen Landesverband?

Nein. Es besteht kein Mitgliedszwang. Der regionale Bezug bleibt auf jeden Fall bestehen, die Tafeln sind weiterhin eigenständig und gehen nicht im Verband auf. Wir bitten allerdings alle Tafeln beizutreten. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 40 Euro im Jahr. Diesen Obolus kann, wie ich meine, jede Tafel entrichten. INTERVIEW: MICHAEL DREISIGACKER

Fotohinweis:EDELTRAUT GRAESSNER, 59, Vorsitzende des Landesverbandes der Tafeln in Niedersachsen und Bremen.