theater
: Zwischenmenschliche Apokalypse

Ein fieser kleiner Brocken. Ein als Komödie getarntes Horrorszenario: Wir befinden uns auf einer Party. Während das eigentliche Geschehen hinter dem Vorhang stattfindet, sind wir die Zeugen dessen, was am Rande passiert: Die Bühne ist der Balkon, auf den die Protagonisten treten, um zu verschnaufen, um sich zu streiten, schlagen, begrabschen oder um sich einfach mal ordentlich zu erbrechen.

„Balkonszenen“, geschrieben von John von Düffel, ist eine Produktion des Akademietheaters Köln. Für die beteiligten DarstellerInnen ist die Inszenierung so etwas wie ein Gesellenstück zum Abschluss ihrer Schauspielausbildung. Man merkt sofort: Die Akteure sind motiviert bis in die Haarspitzen und bereit, alles zu geben. Als Zuschauer wird man gleichsam überrollt von der geballten Spielgewalt.

Das szenen- und collagenhafte des Stücks ist aber auch eine perfekte Grundlage zur Darstellung schauspielerischen Facettenreichtums: Von der fulminanten One-Man-Show über den beschleunigten Dialog bis hin zur ausgefuchsten Gruppenchoreografie – hier kann man zeigen, was man drauf hat. Und tut es auch. Herausragend: Henning Heup als schmierlappiger Kotzbrocken und großspurige Fratze des Sozialdarwinismus: „Du musst die Welt verändern, oder sie verändert dich.“ Souverän: Robert Christott in der Rolle des Mr. Shade, der genau dann selbstgefällige Melodien summt, wenn sich jemand anderes gerade vor Selbstmitleid röchelnd auf dem Boden windet. Überhaupt, so kalt wie die Protagonisten sind auch die 90er-Jahre-Chartsongs, mit denen Regisseur Bernhard Bötel das Partygeschehen untermalt: Funktionsmusik, zu der man auf Knopfdruck seine Gute-Laune-Maske aufsetzt.

Das Lachen bleibt einem bei dieser Inszenierung regelmäßig im Halse stecken. Während sich in der einen Ecke des Balkons ein Pärchen auf groteske Weise bemüht, sich sexuell näher zu kommen, stranguliert sich ein lebensmüder junger Mann in der anderen Ecke mit den Streben des Geländers – und wird von dem Pärchen absichtlich ignoriert. Düffels Figuren sind allesamt Monster, absolute Ego-Shooter. Beziehungen scheitern hier am laufenden Band. Geredet wir viel, aber immer aneinander vorbei. Man lässt sich verhungern, nur um selbst nicht zu kurz zu kommen. Was bleibt, ist die traurige Erkenntnis, dass Kommunikation nicht möglich ist, Begegnung schon gar nicht: Der Mensch ist des Menschen Wolf.

Wenn „Balkonszenen“ ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, dann vielen Dank. Eines ist es ohne Zweifel: die Prophezeiung der zwischenmenschlichen Apokalypse. Oliver Minck

„Balkonszenen“: 15.-18. November, jeweils 20 Uhr, ARTheater Köln, Ehrenfeldgürtel 127 (0221/5503344)