„Medizinische Zuhälter“

Schönheitsoperationen: Tatort-Kommissar Jochen Senf recherchierte für das Drehbuch des Krimis am Sonntag auch in Bremen

bremen taz ■ Wenn Jochen Senf als ARD-Tatortkommissar Palü am Sonntag über die Bildschirme flimmert, ermittelt er im Sumpf zwischen Bestechung und Schönheitswahn. Wie immer ist der Tatort in Saarbrücken angesiedelt, bis ins Elsass gehen dieses Mal die Verbindungen.

Herr Senf, im Vorfeld, als Sie das Drehbuch zum Film geschrieben haben, sind Sie aber durch ganz Deutschland gereist und waren auch in Bremen, um mit Opfern von Schönheitsoperationen zu sprechen. Was landet davon im Krimi? Jochen Senf: Bei dem Format von 90 Minuten ist man natürlich eingeschränkt. Aber ich glaube, die wesentlichen Punkte meiner Recherche werden benannt. Ich unterscheide beispielsweise zwischen plastischer Chirurgie an Unfallopfern wegen Missbildung – und Schönheitsoperationen, die die Strategie verfolgen, dass man „wertige“ Frauen, wie ich so sage, im kommerziellen Interesse „unwertig“ macht, indem man ihnen industriell organisiert einflüstert, dass sie hässlich seien. Die Angst, dass sie die gängigen Normen nicht erfüllen, treibt diese Frauen zu den Chirurgen. Dabei sind die Frauen, die in eine Schönheitsklinik gehen, in der Regel kerngesund. Umso mehr sind sie erschüttert, wenn sie als Kranke oder sogar als Krüppel die Kliniken der so genannten Schönheitsoperateure wieder verlassen. Ich habe mir Dutzende Anzeigen im Internet angeschaut – und das Ergebnis ist, dass die Frauen über die erheblichen Risiken nie ausreichend aufgeklärt worden sind. Das ist das eigentlich Kriminelle.

Wie sind die Opfer Ihnen begegnet?

Zunächst zurückhaltend, oft mit Scham. Von manchen Frauen würde ich sagen, dass sie auch Jahre später noch traumatisiert sind. Es ist natürlich entsetzlich, wenn jemand durch eine Operation schöner werden will – und dann das Gegenteil geschieht. Das verdoppelt die Scham.

Im Film kommen auch Ärzte vor, die in finstere Machenschaften verstrickt sind – welche Schuld haben Ärzte?Wenn jemand aufklärt, dann doch die Ärzte – aber die Frauen mit denen ich gesprochen habe, fühlten sich alle nicht über Risiken aufgeklärt. Und Ärzte haben daran auch kein Interesse. Die eigentliche Schweinerei beginnt aber nach einer verpfuschten Operation. Darüber habe ich mit Rechtsanwälten gesprochen. Oder mit Krankenversicherungen, wo ich beispielsweise nur gehört habe: Solange uns das nicht erreicht, interessiert es uns auch nicht. Die Frau wird also nicht nur durch einen Arzt verstümmelt, sondern anschließend dermaßen eingeschüchtert, dass sie nicht mehr den Mut hat, sich zu wehren. Dadurch gerät sie gleich mehrfach ins Abseits, sie fühlt sich isoliert und kommt kaum noch aus der Depression heraus. Mich hat erschüttert, wie tabu das Thema ist – in dieser Gesellschaft, in der Jugendwahn so eine Rolle spielt.

Gab es Rechercheergebnisse, die Sie dem Publikum nicht zumuten konnten? Ich habe viele schlimme Bilder gesehen, die wir nicht zeigen – da würde das Publikum abschalten.

Warum haben Sie sich dem Thema Schönheitsoperation zugewendet?Ich war des Öfteren mit dem Thema konfrontiert – und ich fand es dringend. Mit meinem Riecher lag ich wohl richtig, weil das Thema in letzter Zeit verstärkt hochkocht. Der Druck scheint ja noch zu wachsen, so dass mehr Menschen glauben, sie müssten in ihren Körper investieren, um eine Chance auf Arbeit und sonst was zu haben. Das ist in anderen Ländern viel ausgeprägter, aber es gibt auch hier junge Mädchen, die sich die Operation als Geschenk unter den Weihnachtsbaum legen lassen – und es gibt Ärzte, die verdienen daran, dass sie den Frauen etwas aufschwätzen. Eigentlich sind das medizinische Zuhälter.

Sie erwarten sicher jede Menge böser Zuschriften, wenn am Sonntag der Krimi gelaufen ist?Klar. Aber dem stehe ich kämpferisch gelassen gegenüber.

Fragen: Eva Rhode